Achtsam führen – Vom Funktionieren zum wirklich Wahrnehmen
Führung hat sich verändert – und mit ihr die Anforderungen an diejenigen, die sie gestalten. In einer Zeit, in der Geschwindigkeit, Komplexität und Unsicherheit zunehmen, reicht der reine Fokus auf Zahlen, Prozesse und To-do-Listen nicht mehr aus. Wer führen will, muss wahrnehmen – sich selbst, andere und das, was zwischen den Menschen geschieht. Die Bedeutung von Achtsamkeit hat sich längst verschoben, weg von einem Wohlfühlkonzept aus dem Meditationskurs und hin zur fokussierten Wahrnehmung eigener Denkmuster – gerade für Führungskräfte.
Denn es geht nicht um stille Sitzkreise mit Klangschalen. Es geht um die Fähigkeit, das eigene Denken, Fühlen und Handeln bewusst wahrzunehmen und daraus kluge Schlüsse zu ziehen. Achtsame Führung beginnt mit dem mutigen Blick nach innen: Welche Muster treiben mich an? Wie interpretiere ich Situationen? Welche inneren Dialoge steuern mein Verhalten?
Führung ist heute kein reines Außenprojekt mehr. Wer dauerhaft gut führen will, braucht innere Klarheit – und die wächst nicht auf Autopilot, sondern durch bewusste Selbstführung.
Denkpause erwünscht: Was achtsame Führung mit Selbstwahrnehmung zu tun hat
Achtsamkeit ist in ihrer Essenz ein Wahrnehmungstraining. Nicht nur im Sinne der Welt da draußen, sondern auch im Sinne des inneren Erlebens. Für Führungskräfte heißt das: innehalten können. Denken beobachten. Emotionen zulassen, ohne sich von ihnen steuern zu lassen. Und aus der Beobachter*innenrolle heraus sinnvolle Entscheidungen treffen.
Gerade in herausfordernden Führungssituationen passiert oft das Gegenteil: automatische Reaktionen, alte Denkmuster, emotionale Kurzschlüsse. Achtsame Führung durchbricht diesen Mechanismus, indem sie Raum schafft für bewusste Selbstwahrnehmung.
Das bedeutet konkret:
- Innere Reize bemerken, bevor sie Handlung auslösen
- Emotionen erkennen, ohne von ihnen überflutet zu werden
- Gedanken als Hypothesen betrachten, nicht als Fakten
Diese Form der inneren Klarheit ist nicht angeboren, sondern trainierbar. Und sie ist das Fundament für echte Selbstführung. Denn nur, wer die eigenen Muster kennt, kann diese im Führungsalltag steuern – statt sich von ihnen steuern zu lassen.
Drei Denkstrategien, die Führung verändern
Die Forschung zur Selbstführung zeigt: Es sind nicht feste Persönlichkeitsmerkmale, die exzellente Führung ausmachen – sondern Denkstrategien, die sich entwickeln und trainieren lassen. Drei davon sind besonders wichtig: Selbstwirksamkeit, Willpower & Waypower und Optimismus. Alle drei entfalten ihre Wirkung vor allem dann, wenn sie achtsam wahrgenommen und gezielt genutzt werden.
Selbstwirksamkeit: Der innere Muskel für Handlungsfähigkeit
Selbstwirksamkeit hat mit Selbstvertrauen zu tun, geht aber darüber hinaus. Es ist die Überzeugung, aus eigener Kraft und mit den richtigen Mitteln etwas bewirken zu können – gerade in schwierigen Situationen. Führungskräfte mit hoher Selbstwirksamkeit handeln nicht nur entschlossen, sondern reflektieren auch regelmäßig: Was hat funktioniert? Warum? Was kann ich daraus lernen?
Achtsame Führung stärkt Selbstwirksamkeit, weil sie zur kontinuierlichen Selbstreflexion einlädt – über Gedanken, Handlungen und deren Wirkung. Sie macht Denkstile sichtbar, die entweder fördern oder blockieren. Wer achtsam führt, fragt sich regelmäßig: Welche Denkgewohnheit unterstützt mich – und welche steht mir im Weg?
Willpower & Waypower: Wille allein reicht nicht
Ziele setzen ist das eine – sie strategisch zu verfolgen, das andere. Genau hier setzen die Denkstrategien Willpower (Wille zur Zielerreichung) und Waypower (Fähigkeit, Wege zum Ziel zu erkennen und zu beschreiten) an. Beide sind erlernbar. Aber nur, wenn man sich bewusst mit den eigenen inneren Antreibern auseinandersetzt: Warum will ich dieses Ziel? Welche Wege habe ich schon ausprobiert? Welche Möglichkeiten übersehe ich vielleicht?
Achtsame Führung bringt genau diesen Reflexionsraum mit sich: Sie erlaubt das Innehalten, das Hinterfragen, das Neujustieren – anstatt im blinden Aktionismus zu verharren.
Optimismus flexibel einsetzen
Optimismus in der Führung ist kein Dauergrinsen – sondern eine kognitive Haltung. Es geht darum, Misserfolge nicht als persönliche Niederlage zu interpretieren, sondern als Teil eines größeren Prozesses. Und gleichzeitig Erfolge nicht dem Zufall zuzuschreiben, sondern den eigenen Fähigkeiten.
Achtsame Führung bedeutet in diesem Kontext: Die eigenen Attributionsmuster kennen – also: Wie erkläre ich mir Erfolge und Misserfolge? Denn Erfolg kann man sich entweder selbst zuschreiben, als überdauernde und globale Eigenschaft, oder auch dem Glück oder Schicksal – und damit als unkontrollierbares, flüchtiges Einzelgeschehen einordnen. Menschen mit einem sogenannten „flexiblen Optimismus“ schaffen es, Erfolge zwar intern, global und stabil zu attribuieren, dabei aber realistisch nach vorne zu schauen, ohne die Schwierigkeiten auszublenden. Diese mentale Haltung erlaubt es Führungskräften, an eine generell gute Zukunft zu glauben, ohne Probleme und Schwierigkeiten zu bagatellisieren.
Attribution, Emotionsregulation und Denkgewohnheiten: Die inneren Spielregeln verstehen
Führung beginnt im Kopf. Aber oft genug fährt dieser Kopf auf eingefahrenen Gleisen. Gedankenstrukturen, Bewertungsmuster, emotionale Reaktionen – all das läuft häufig automatisch ab. Doch Führung auf Autopilot kann gefährlich werden – vor allem in konfliktreichen oder unsicheren Situationen.
Achtsamkeit unterbricht diesen Autopiloten – und bringt Licht in die inneren Abläufe. Wer sich regelmäßig fragt: Wie interpretiere ich gerade diese Situation? oder Welche Emotion steckt hinter meinem Handlungsimpuls?, kann gezielter reagieren, statt nur zu agieren.
Die oben schon angesprochene Attributionstheorie hilft hier weiter: Sie zeigt, wie Menschen Erfolge und Misserfolge erklären – ob sie diese sich selbst oder äußeren Umständen zuschreiben. Achtsam führende Personen kennen nicht nur ihre eigenen Erklärungsstile, sondern achten auch auf die ihrer Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen. Denn wer Misserfolge permanent sich selbst zuschreibt („Ich bin einfach nicht gut genug“), wird schnell resignieren – wer sie dagegen als temporär, spezifisch und von äußeren Faktoren beeinflusst einordnet, bleibt handlungsfähig und motiviert. Und die Attribution kann man beispielsweise in Reviews analysieren, indem Fragen gestellt werden, welche Umstände denn kontrollierbar waren und welche nicht, welche Learnings es für die Zukunft aus vergangenen Fehlern gab oder welche anderen Bereiche ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Achtsame Führung im Alltag: Mikro-Momente, große Wirkung
Das Gute: Achtsamkeit braucht keine zusätzlichen Stunden im Kalender. Sie zeigt sich in Mikro-Momenten – im Zuhören, im Nachfragen, im bewussten Nicht-Reagieren, zumindest nicht automatisch. Sie beginnt bei der morgendlichen Selbstklärung: Wie will ich heute führen? Und sie endet nicht bei schwierigen Gesprächen, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch alle Begegnungen.
Konkrete Praxisideen:
- Kurze Reflexionsroutinen vor Meetings: Was ist meine Haltung, bevor ich den Raum betrete?
- Mentale Check-ins: Welche Gedanken treiben mich gerade?
- Bewusstes Atmen in Stressmomenten – nicht als Entspannungstechnik, sondern als Stopp-Signal
- Feedbackrunden mit Fokus auf Denk- und Handlungsmuster
Achtsame Führung ist keine Methode – sie ist eine Haltung. Sie ist ein strategisches Führungsinstrument, das dabei hilft, eigene Denkstrukturen zu erkennen, bewusst zu reflektieren und damit handlungsfähig zu bleiben – auch (oder gerade) unter Druck. Und nur wer sich selbst achtsam wahrnimmt, kann andere wirksam führen.
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Zum Weiterlesen:
Müller, Eva B. (2013): Innovative Leadership. Die fünf wichtigsten Führungstechniken der Zukunft. Freiburg München: Haufe








