Analysieren und intervenieren für mehr organisationale Resilienz – Teil 1/3

„Wir gehen davon aus, dass Organisationen in drei Bereichen Unlösbares lösen müssen.“ Das schreibt der Organisationsentwickler Klaus Eidenschink in seinem Buch „Entscheidungen ohne Grund“, und er bezieht sich damit auf die drei Dimensionen Sachdimension, Zeitdimension und Sozialdimension.

Sinndimensionen und Organisationale Resilienz

In allen Dimensionen gibt es Leitunterscheidungen, die zwischen zwei gegensätzlichen Polaritäten oszillieren, wie beispielsweise die Pole Kontrolle – Freiraum. Erwünschte Ergebnisse auf der einen Seite führen zu unerwünschten Ereignissen auf der anderen Seite: Je mehr Kontrolle eine Organisation z.B. einsetzt, desto weniger Freiraum kann sich gewähren; je mehr Freiraum eine Organisation gibt, desto weniger kann sie kontrollieren. Da das System „Organisation“ aber hoch komplex ist, werden die verschiedenen Pole bei Veränderungen oft nicht ausreichend bedacht. Das hat zur Folge, dass nicht mitgeplant wird, dass sich bei Änderungen im System immer auch etwas in eine unerwünschte Richtung ändern wird – unweigerlich.

Wenn ein Unternehmen Organisationale Resilienz anstrebt, strebt es die Fähigkeit an …

„etwas abzufedern und sich in einer verändernden Umgebung anzupassen, um so seine Ziele zu erreichen, zu überleben und zu gedeihen. Resilientere Organisationen können Risiken und Chancen – aufgrund von plötzlichen oder allmählichen Veränderungen im internen und externen Kontext – antizipieren und darauf reagieren.“ (Definition Organisationale Resilienz).

Der Organisation stehen dafür mit neun Resilienzschlüsseln verschiedene Stellhebel zur Verfügung, durch die sie ihre Organisationale Resilienz stärken kann (zum Weiterlesen: Resilienzschlüssel organisationaler Resilienz im Resilienz-ABC). In jedem Unternehmen gibt es in jedem dieser neun Resilienzschlüssel-Bereiche individuell verschiedene, konkrete Veränderungs- und Verbesserungsmöglichkeiten. Und in jedem Unternehmen ist es individuell verschieden, welche dieser Veränderungsmöglichkeiten am dringlichsten und/oder am zielführendsten behandelt werden sollte.

Ein erster Schritt zur Analyse und Intervention zur Resilienzentwicklung besteht in einer Organisation deswegen darin, die zugehörigen Themen zu den neun Resilienzschlüsseln zu sammeln und das wichtigste Thema zu identifizieren. Dieses Thema wird dann im nächsten Schritt in den drei Sinndimensionen analysiert. Auf diese Weise ergibt sich ein umfangreiches und vollständiges Bild des Themas, aus dem oft ganz neue Lösungsaspekte entstehen.

Anwendungsbeispiel Lieferkettenschwierigkeiten

In einem Führungskräfte-Workshop, den ich im Jahr 2020 in einem internationalen Großkonzern durchführte, identifizierten die Workshop-Teilnehmer*innen zum Beispiel das folgende Thema als drängendstes Thema, mit dem sie sich intensiver befassen wollten:

Durch die Corona-Pandemie sind unsere Lieferketten an mehreren Stellen unterbrochen. Wir warten auf notwendige Produktionsteile und können unseren KundInnen die bereits verkauften Produkte nicht zum zugesagten Zeitpunkt liefern. Während zu Beginn des Jahres durch die allgemeine Überraschung über die Pandemie viel Kulanz bei den KundInnen spürbar war, werden jetzt die Forderungen nach Vertragserfüllung lauter.

Dieses Thema hatten die Workshop-TeilnehmerInnen in den Resilienzschlüssel-Bereichen „Verfügbare Ressourcen“ und „Internes und externes Umfeld verstehen und beeinflussen“ gefunden. So unterstützen diese beiden Schlüssel die Organisationale Resilienz:

  • VERFÜGBARE RESSOURCEN: Die Organisation sorgt für ausreichende Ressourcen, um schnelle Anpassung an veränderte Umstände zu ermöglichen
  • UMFELD VERSTEHEN: Die Organisation nimmt ihr internes und externes Umfeld bewusst wahr, nutzt die gewonnen Informationen und beeinflusst gezielt die relevanten Stakeholder.

Nachdem das Thema klar war, analysierten die Workshop-TeilnehmerInnen es in den drei Sinndimensionen. Da ich Ihnen alle drei Dimensionen ausführlich vorstellen will, werde ich im Folgenden erst einmal nur auf die Analyse in der Sachdimension eingehen. In späteren Blogbeiträgen erfahren Sie jeweils mehr zur Sozialdimension und zur Zeitdimension.

Leitunterscheidungen in der Sachdimension

Die Sachdimension beschäftigt sich mit drei Leitunterscheidungen: Der „Vernetzung“, der „Entscheidungsorientierung“ und dem „Qualitätsfokus“. Wie eingangs angesprochen, bewegen sich die Leitunterscheidungen immer zwischen zwei gegensätzlichen Polen, zwischen denen sich eine Organisation irgendwo positionieren muss. Eine hohe gleichzeitige Ausprägung auf beiden Polaritäten ist unmöglich.

Das Thema „Lieferschwierigkeiten“ ist komplex und lässt sich natürlich nicht genau in einzelne „Analyse-Schubladen“ einordnen. Dennoch behielten die Teilnehmer*innen im Workshop die Resilienzschlüssel, in denen sie besonders viel Potential zur Resilienzsteigerung erkannt hatten, im Blick, während sie das Thema auf die Leitunterscheidungen in der Sachdimension abklopften. Zur Erinnerung: Die entscheidenden Resilienzschlüssel waren „Verfügbare Ressourcen“ und „Umfeld verstehen“.

Vernetzung

Die Leitunterscheidung Vernetzung bewegt sich zwischen den Polen Verknüpfend – Entkoppelnd. Die Organisation muss entscheiden, welche Entscheidungen strukturell miteinander verknüpft und welche entkoppelt werden sollen. Es geht darum, was worauf aufbaut, wer mit wem reden muss, was autonom bearbeitet werden kann und welche Rückkopplungsprozesse in der Organisation nötig sind. Oft tritt der Leitprozess deutlich zutage bei Zentralisierungs- oder Dezentralisierungsfragen in Organisationen. Das Analyse-Ergebnis des Workshops bestand in den folgenden Fragen:

  • Welche Entscheidungen können wir vor Ort flexibler treffen, um schnell auf Lockerungen oder Alternativmöglichkeiten zu reagieren, die sich auftun?
  • Gibt es (bürokratische) Vorgaben im Einkauf, die zumindest vorübergehend gelockert werden können?
  • Wo können Informationen über die Lieferwege unserer verschiedenen Bereiche zusammengeführt werden, um mögliche Synergieeffekte zu entdecken?

Entscheidungsorientierung

Die Leitunterscheidung Entscheidungsorientierung bewegt sich zwischen den Polen Außenorientiert – Innenorientiert. Organisationen müssen entscheiden, ob sie sich außen, z.B. an KundInnen oder Benchmarks orientieren oder am Innen, z.B. an den Produktionsoptimierungen oder Entwicklungen. Ein klassisches Beispiel für eine unterschiedliche Entscheidungsorientierung in einer Organisation ist der oft aufbrandende Konflikt zwischen Vertriebs- und Produktionsabteilung. VertriebsmitarbeiterInnen orientieren ihre Entscheidungen am Außen, nämlich an den Wünschen und Forderungen der KundInnen. ProduktionsmitarbeiterInnen dagegen berechnen eher die internen Kapazitäten und Abläufe und kalkulieren lieber vorsichtig, um gute Ergebnisse zur versprochenen Zeit zu liefern. Sie orientieren sich am Inneren. Das Analyse-Ergebnis des Workshops bestand in den folgenden Fragen:

  • Können neue Liefer-Konditionen mit den KundInnen verhandelt werden? Können wir Ereignisse definieren, die eine Neuverhandlung auslösen sollen?
  • Können wir neue Zeitschätzungen für realistische Fertigstellungstermine von unserem Produktionsteam erhalten?
  • Wie agieren aktuell unsere MitbewerberInnen? Gibt es Lösungsansätze, die wir übernehmen können?

Qualitätsfokus

Die Leitunterscheidung Qualitätsfokus in der Sachdimension bewegt sich zwischen den Polen Gründlich – Schnell. Organisationen, die absolut fehlerfreie Produkte oder Dienstleistungen herstellen möchten, müssen dafür Abstriche an der Schnelligkeit machen. Organisationen hingegen, die auf Innovation und hohe Geschwindigkeit bei der Einführung neuer Produkte setzen, werden immer wieder nachbessern müssen, auch wenn das Produkt oder die Dienstleitung bereits am Markt ist. Es ist offensichtlich, dass eine Organisation immer nur entweder sehr schnell oder sehr gründlich arbeiten kann – beides gleichzeitig zu erreichen ist unmöglich. Das Analyse-Ergebnis des Workshops bestand in den folgenden Fragen:

  • Welche Qualitätsstandards müssen mindestens gehalten werden, wenn sich die Lieferung alternativer Produktionsteile bietet?
  • Wie weit kann die Produktion vor Ort heruntergefahren werden, ohne die Qualität der verbleibenden Produkte zu gefährden?

Lösungsansätze und Offenheit für Änderungen

Wenn Änderungen im bisherigen Lieferkettensystem angestoßen werden soll, wird das auf jeden Fall an anderen Stellen andere, wahrscheinlich unbeabsichtigte Veränderungen auslösen. Es werden sich Wechselwirkungen mit anderen Prozessen, Personen, Abläufen ergeben; die Änderung wird auf bestimmte Muster stabilisierend und auf andere destabilisierend wirken. Oft gibt es zusätzliche Blickwinkel, die bei der Betrachtung des Themas noch nicht eingenommen wurden – oder andere, auf die sich das Unternehmen versteift hat, die aber gar nicht so relevant sind.

Spannend ist, dass an solchen Fragestellungen immer wieder klar wird, wie sehr alles miteinander vernetzt ist und in Wechselwirkung miteinander steht. Umso mehr streicht diese Erkenntnis heraus: Es ist enorm wichtig, eine positive Haltung zu Ungewissheiten und unvorhergesehenen Veränderungen zu behalten! In Workshops für mehr organisationale Resilienz entwickeln wir deswegen nicht nur Lösungsansätze für konkrete Themen, sondern legen auch viel Wert auf die Offenheit für alles Neue, was diese Änderungen auslösen.

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