Coaching in der Natur
In diesem Beitrag geht es um die Rolle der Umgebung in der Selbstentwicklung, wie Natur auf die menschliche Psyche wirkt und warum Coaching in naturnaher Umgebung und an einem anderen als dem gewohnten Ort besonders gut wirkt.
Während meines zweitägigen Resilienztrainings für Führungskräfte, das vor Kurzem stattfand, war das Wetter durchgehend schön. So konnten wir jeden Tag im Freien arbeiten – welch ein Glück! Von ausnahmslos allen TeilnehmerInnen bekam ich die Rückmeldung, dass die idyllische Umgebung, das Rauschen der Bäume, das Quaken der Frösche und die leichte Brise aus dem Wald sie immens dabei unterstützt haben, im Thema anzukommen, sich auf Resilienz einzulassen und ihren eigenen Ressourcen zu stärken. Wann immer möglich, führe ich meine Trainings und Coaching in der Natur und an einem Ort unter freiem Himmel und inmitten der Natur.
Der Einfluss der Umgebung: Coaching in der Natur
Eine wohltuende, angenehme Umgebung beruhigt und hilft dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Coaching funktioniert besonders gut in offenen, freundlichen Räumen – oder eben als Coaching in Natur. Sie holt uns allein schon durch die sensorischen Erfahrungen – Töne, Farben, Gerüche – ins Hier und Jetzt. Das ist enorm wichtig für die Arbeit an uns selbst, für die Persönlichkeitsentwicklung. Eine natürliche Umgebung bietet viel Raum, um sich selbst zu spüren und zu erleben. Studien zeigen diese Bedeutung der Natur für die kognitive Entlastung und Erholung. Das Konzept heißt “Attention Restoration Theory” und besagt, dass natürliche Umgebungen die geistige Erschöpfung verringern und die Aufmerksamkeitsspanne erhöhen können – gerade für Führungskräfte mit einem kräftezehrenden Alltag ist es interessant, dass Spazierengehen produktivitätssteigernder sein kann als die x-te Tasse Kaffee.
Ich nutze die Umgebung gerne als Anschauungsmaterial, wenn ich in meinen Einzelcoachings mit der oder dem Coachee in der Natur bin. Sie bietet unendlich viele Metaphern für persönliche Lebensphasen: Kreisläufe, Wechselwirkungen, Perspektivenwechsel. In einer natürlichen Umgebung können Sie unendlich viel finden, was Sie anspricht und etwas in Ihnen zum Schwingen bringt. Über Metaphern zeigen sich Impulse, die in Bezug auf Ihre Themen wichtig sind. Die Frage, warum gerade diese bestimmte Pflanze oder dieser eine Blick durch die Bäume hindurch Ihre Aufmerksamkeit wecken, kann einen inneren Prozess in Gang setzen, der bisher unbewusste Themen oder Ressourcen sichtbar und bewusst macht. Die Natur dient als Spiegel des Inneren und macht im Außen deutlich, was in Ihnen vorgeht.
Auf dem Landhof Neuwerk in Stein bei Nürnberg inmitten des idyllischen Rednitz-Wiesengrunds oder mit Blick auf das Meer in Garachico auf Teneriffa wirkt die Natur schon allein unterschwellig als Rahmen meiner Coaching-Gespräche. Fester Bestandteil in meinen Coaching-Auszeiten sind außerdem gemeinsame Ausflüge an besondere Orte. Zum einen tauchen wir auch dabei wieder für das Coaching in die Natur ein, und zum anderen setzen wir, Coach und Coachee, durch das gemeinsame Gehen etwas – und uns – in Bewegung. Gehen oder Wandern versetzt viele Menschen in einen natürlichen Flow, in dem sich Gedanken besser ordnen lassen und kreativere Ideen entstehen. Es ist nicht nur die gleichmäßige Bewegung, die uns anregt und Ideen wachsen lässt, sondern es ist auch der gemeinsame Blickwinkel nach vorne, der das Denken so effektiv macht. Das Thema liegt dann gleichsam vor uns, es lässt sich aus einer gewissen Distanz “betrachten” und wird so im Gespräch mit dem Coach vor dem inneren Auge deutlicher, greifbarer und verstehbarer.
Neuer Ort – neue Perspektiven
Die Natur lädt als Spiegel der Seele ein zu Perspektivenwechsel, und der ist besonders hilfreich im Coaching, wo das Ziel oft darin besteht, festgefahrene Denkmuster aufzubrechen und innovative Lösungen für berufliche oder private Herausforderungen zu finden. Wenn Sie etwas ändern möchten, etwas neu gestalten möchten, liegt es nahe, für den Entscheidungsprozess auch geografisch den Ort zu ändern. Eine neue Umgebung regt die Gedanken an und kann Sie inspirieren – wahrscheinlich kennen Sie diesen Effekt vom Reisen, wo Sie mit vielen neuen Ideen und erfrischt zurückkehren, obwohl das Reisen ja gleichzeitig auch anstrengend ist. Ganz konkret können Sie an einem anderen Ort einen Schritt zurücktreten aus Ihrem Alltag und die Dinge aus der Entfernung betrachten und bewerten. Auch die ganz pragmatische Distanz von alltäglichen Ablenkungen gelingt an einem anderen Ort besser. Schon allein die physische Entfernung unterstützt dabei, sich Zeit für eine “Auszeit” von Alltagsproblemen und -anforderungen zu nehmen, um sich mit den Themen auseinanderzusetzen, die Sie tiefgreifender bearbeiten wollen.
In der Neurobiologie ist schon lange bekannt, dass es für das Gehirn anregend ist, neue Dinge zu tun. Alleine schon, regelmäßig neue Wege für bekannte Strecken zu nehmen – z.B. ins Büro – hält uns geistig fit. Wenn wir gewohnte Bahnen verlassen und die Umgebung wechseln, erleben wir neue sensorische Erfahrungen, die die Neuroplastizität des Gehirns anregen können. Dies bezieht sich auf die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und zu entwickeln, was direkt mit kreativem Denken und Problemlösungsfähigkeiten verknüpft ist. Zusätzlich fördert der Ortswechsel die Selbstwahrnehmung und das Bewusstsein für eigene Bedürfnisse und Grenzen: In einer neuen Umgebung, die keine automatischen Routinen und Rollen vorschreibt, können Sie freier reflektieren und möglicherweise bisher unbewusste Aspekte ihrer Persönlichkeit erkennen.
Auszeit für innere Einkehr
Es fällt oft schwer, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Vielleicht merken Sie, dass sich etwas ändern soll, dass Sie eine Entscheidung für die Zukunft treffen sollten – finden aber in ständigem Tun und Erledigen nicht den Raum und die Zeit, uns mit dieser Entscheidung auseinanderzusetzen. Wer etwas ändern will, gerät schnell in Aktionismus, legt mit aller Kraft und sofort los. So lösen wir schließlich unsere Aufgaben normalerweise: Indem wir etwas tun, etwas schaffen, indem wir alle Hebel in Bewegung setzen.
Aber wenn wir wirklich etwas verändern wollen, bringt uns eine andere Strategie meist viel weiter: Innehalten. Bei sich zu sein, präsent zu sein, das ist wesentlich, um den Raum für Neues zu erschaffen. Um die oben beschriebenen positiven Aspekte von naturnahem Coaching und einem Ortswechsel entfalten sich besonders gut, wenn Sie innehalten, um sich intensiv darauf einlassen. Und das heißt auch, sich die Zeit dafür zu nehmen, an einem anderen Ort, im Coachingprozess und bei sich selbst anzukommen. Ein längerer Zeitraum ermöglicht es, tiefergehende Erkenntnisse und Lernprozesse zu entwickeln und in der Zeit zwischen den einzelnen Coaching-Einheiten zu reflektieren, um sie nach kurzem Abstand in den weiteren Coaching-Einheiten zu vertiefen und weiterzuentwickeln.
Es mag im ersten Moment unproduktiv erscheinen, sich ein Wochenende oder eine Woche lang nur auf sich selbst zu konzentrieren. Tatsächlich ist es aber das Gegenteil von unproduktiv. Denn auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel können sich Prioritäten und persönliche Werte verändern. Innehalten ist eine Chance, sich zu besinnen – um zu überprüfen, wohin Ihr Weg gehen soll, ob er noch zu Ihnen passt und um sich neu zu sortieren. Durch mehrere Tage des intensiven Coachings können zudem tief sitzende Überzeugungen und Verhaltensmuster, die Sie immer wieder beeinflussen und ablenken, effektiver herausgearbeitet und angegangen werden. Dies führt oft zu nachhaltigeren Veränderungen und einer stärkeren persönlichen Entwicklung.
Zeit und Raum für sich selbst nehmen
Schon Virginia Woolf schrieb 1929 in ihrem berühmt gewordenen Essay Ein Zimmer für sich allein: „Eine Frau braucht Geld und ein Zimmer für sich allein, wenn sie Bücher schreiben möchte.“ Wenn wir das im übertragenen Sinne sehen, dann bedeutet es auch heute noch: Persönliche Entfaltung braucht einen ungestörten Rahmen, der Privatsphäre bietet und von äußeren Einflüssen abschirmt. Innehalten ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um aufzutanken, sich auszurichten und sich so gestärkt neuen Zielen zuzuwenden. Wenn Sie sich Zeit und Raum für Reflexion und Neu-Bewertung nicht zugestehen, handeln Sie wie ein Baumfäller, der mit stumpfer Axt mühsam einen Baum nach dem anderen zu fällen versucht und auf die Frage, warum er denn die Axt nicht schärfe, antwortet: “Dafür habe ich keine Zeit! Seht ihr nicht, wie viel ich zu tun habe?”
Zum Weiterlesen:
- Dienemann, K. (2017): Natur als Medium im Coaching. In: Coaching-Magazin, Ausgabe 4. Online abrufbar: https://www.coaching-magazin.de/konzepte/natur-coaching (abgerufen 1.7.2024)
- Hofmann, B. & O. (2. Aufl. 2017): Einfach raus! Wie Sie Kraft aus der Natur schöpfen. Ostfildern: Patmos
Dies ist der Beitrag 9 rund um Übergänge, Perspektivwechsel und Coaching. Im nächsten Beitrag geht es um Veränderungskompetenz als Zukunftskompetenz und wie Sie mit Unsicherheit und Veränderungen umgehen können.