Unglück kann man aktiv lindern © cicisbeo / fotolia

Coaching Tipp: Umgang mit Unglück

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“, schrieb Tolstoi in „Anna Karenina“. Unglücklichsein hat tatsächlich viele Gesichter und viele Ursachen. Dabei kommt Unglück aber nicht von alleine, sondern ist immer eine Reaktion: auf ein konkretes Ereignis (z.B. eine Scheidung) oder auf einen Zustand (z.B. eine Krankheit, ein unbefriedigender Arbeitsplatz). Diese Ursachen können in vielen Fällen nicht geändert werden, und das Unglück hat Sie vielleicht unverdient und willkürlich getroffen. Sie haben aber immer die Möglichkeit, sich zu entscheiden, wie Sie reagieren wollen: defensiv, destruktiv oder aber konstruktiv. In ihrem Umgang mit Unglück unterscheiden sich resiliente Menschen mit hoher innere Widerstandsfähigkeit von anderen, die sich durch Unglück überwältigen lassen. Überlegen Sie ganz ehrlich und vorurteilsfrei: welche der folgenden Herangehensweisen beschreibt Ihren Umgang mit Unglück am besten?

Defensiver Umgang: Sie können sich als Reaktion auf ein Unglück zurückziehen, sich einigeln, um sich vor weiterem Unglück zu schützen, und ihre Wunden lecken. Das nennt man einen defensiven Umgang mit Unglück: Sie verhalten sich zögerlich und vermeidend, sind verletzt und unsicher und ihre Gedanken drehen sich um das Warum: „Warum ich? Warum musste das passieren?“.

Destruktiver Umgang: Eine andere Möglichkeit ist, sich selbst für das Unglück zu bestrafen. Das wäre ein destruktiver Umgang mit Unglück. Vielleicht verbieten Sie sich Schönes und Angenehmes, solange das Unglück noch nachwirkt – nach dem Motto „Ich bin selbst schuld an meinem Unglück – also muss ich dafür büßen und darf nicht fröhlich sein“. Manche Menschen gehen noch darüber hinaus und verletzen sich physisch selbst. Die Gedanken, die Sie dabei haben, sind depressiv gestimmt und beweisen Ihnen erst recht, dass Sie es gar nicht wert sind, ein anderes Ergebnis als dieses Unglück zu erleben.

Offensiver Umgang: Und dann wiederum könnten Sie offensiv mit dem Unglück umgehen. Wenn Sie dies tun, dann sehen Sie die bekannten „Herausforderungen statt Probleme“: Sie geben nicht auf, nach Lösungen zu suchen, die etwas an Ihrer Situation verbessern können. Sie nehmen Ihr Unglück aktiv als Anlass, etwas zu ändern – und sei es Ihre Einstellung zum verursachenden Ereignis oder Zustand. Das Gefühl, das Sie dabei empfinden, kann sowohl kämpferisch als auch hoffnungsvoll sein.

Jede dieser Herangehensweisen enthält drei verschiedene Aspekte: den emotionalen Aspekt, der Ihre Gefühle gegenüber dem Unglück beschreibt; den kognitiven Aspekt, durch den Sie sich bewusst mit Ihrem Problem und den möglichen Lösungen auseinandersetzen; und Ihr Verhalten, mit dem Sie auf das Unglück reagieren. Die drei Aspekte können übereinstimmen, sie können aber auch im Widerstreit stehen. Vielleicht wissen Sie ja kognitiv ganz genau, was Sie tun müssten, aber Ihr Verhalten sieht ganz anders aus? Oder es ist rational betrachtet alles halb so schlimm, trotzdem haben Sie schlimmes Bauchweh jedes Mal, wenn Sie an Ihre Situation denken…

Versuchen Sie einmal, die drei Aspekte zu trennen und Ihre Situation jeweils aus nur einem einzigen Blickwinkel zu analysieren. Nehmen wir als Beispiel einen Streit, den Sie mit einem Herzensmenschen hatten. Wenn Sie gerade sehr traurig sind, dass Sie diese Person verletzt haben und von ihr verletzt worden sind, konzentrieren Sie sich auf den kognitiven Aspekt: Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie den Streit wirklich nie wieder beilegen können? Gibt es Wege, wie Sie wieder zueinander finden können? Oder wenn Sie in einen Gedankenstrudel geraten, aus dem Sie nicht wieder herausfinden: fokussieren Sie sich auf Ihr Verhalten und tun Sie einfach den nächsten logischen Schritt in Richtung Versöhnung, ohne lange darüber nachzudenken. Oder Sie bekommen erst einmal Ihre Emotionen wieder in den Griff, die Sie daran hindern, den nächsten Schritt nach vorne zu tun.

Nicht zuletzt: behalten Sie immer im Auge, dass jede Krise, jedes Unglück auch seine positiven Seiten hat. Viele Menschen, die schwere Unfälle erlitten, berichten, dass ihnen erst dadurch klargeworden ist, was im Leben wirklich wichtig ist. Wer ein Unglück erlebt und offensiv damit umgeht, sich allen Aspekten seiner Situation stellt, der wird oftmals erstaunlich positive Dinge bemerken:

  • ein Freund, der unerwartet geholfen hat
  • die Erkenntnis, dass manche Ziele und mancher Besitz nicht so unbedingt notwendig sind wie bisher gedacht
  • die Erfahrung, trotz subjektiver Fehlern wertgeschätzt zu werden
  • die Gewissheit, auch mit anfangs unüberwindbar scheinenden Widerständen fertig zu werden

… diese Liste lässt sich noch lange fortsetzen.
Viele Menschen gelangen durch ein erlebtes Unglück zu einer neuen Klarheit und einer neuen Richtung, die ihr Leben von da an einschlägt. Es findet ein persönliches Wachstum statt, das durch eine solche Krise erst möglich geworden ist. Und dieser Effekt ist sogar so weit verbreitet, dass neben der posttraumatischen Belastungsstörung inzwischen auch das posttraumatische Wachstum zu einem feststehenden Begriff und Forschungsgegenstand geworden ist.