Durchbruch der Resilienzforschung: die Kauai-Studie
Als Pionierin der Resilienzforschung gilt die US-Amerikanerin Emmy Werner, die in einer Langzeitstudie auf der Hawaii-Insel Kauai rund 700 im Jahr 1955 geborene Kinder aus schwierigen Verhältnissen bis ins Erwachsenenalter begleitete. In der 1971 veröffentlichten Kauai-Studie analysierte sie verschiedene Faktoren, die nachweislich und zuverlässig die Resilienz beeinflussen – und damit die Chance, trotz Armut oder geringer Bildung zu mental starken Erwachsenen heranzuwachsen.
Forschung zu Resilienz in der Positiven Psychologie
Resilienz wird häufig im Rahmen der Positiven Psychologie beforscht. Die Positive Psychologie fragt: „Wie kann das psychische Wohlbefinden eines Menschen erhöht werden?“ – im Gegensatz zur ansonsten vorherrschenden Frage: „Wie kann das psychische Leiden eines Menschen vermindert werden?“ Vorreiter und Begründer der Positiven Psychologie ist der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman. Mit seiner Kollegin Dr. Karen Reivich entwickelte er das „Penn Resilience Program“, ein Trainingskonzept zur Prävention von Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kindern, das später auch bei Erwachsenen – unter anderem im amerikanischen Militär – eingesetzt wurde. Das Programm basierte auf 7 Resilienzfaktoren, die Dr. Karen Reivich und Dr. Andrew Shatté erstmals im Buch „The resilience factor“ vorstellten (vgl. Reivich & Shatté 2002) und die durch eine Änderung angelernter Denkmuster gestärkt werden können. Zahlreiche Resilienzkonzepte für individuelle Resilienz wurden in Anlehnung an diese 7 Resilienzfaktoren entwickelt.
Forschung zu Resilienz in der (Neuro-)Biologie
Als europaweit erstes Zentrum seiner Art wurde 2014 das Deutsche Resilienz-Zentrum DRZ gegründet. In der fachübergreifenden Einrichtung arbeiten Neurowissenschaftler, Mediziner, Psychologen und Sozialwissenschaftler mit dem Ziel zusammen, Resilienzmechanismen neurowissenschaftlich zu verstehen, Präventionsstrategien zu entwickeln und darauf hinzuwirken, Lebensumfelder resilienzstärkend zu verändern. In einem jährlichen Resilienz-Symposium tragen Forschergruppen weltweit die neuen Ergebnisse zur Neurobiologie der Resilienz zusammen. Aktuell führt das Mainzer Resilienz Projekt (MARP) um Prof. Dr. Kalisch eine mehrjährige Studie durch, in der Resilienzfaktoren in einer Gruppe junger Menschen im schwierigen Lebensalter zwischen Adoleszenz und Erwachsenenleben durch bildgebende Verfahren und Verhaltensstudien erforscht werden. Prof. Dr. Kalisch geht in seiner Resilienztheorie PASTOR davon aus, dass vor allem ein positiver Bewertungsstil zu geringerem Stresserleben führt. Er nutzt dafür eine Verbindung von Ergebnissen aus Hirnforschung und psycho-sozialer Forschung.
Biologische und neurobiologische Forschung beschäftigt sich beispielsweise mit Zellveränderungen im Gehirn oder mit Hormonen. So scheint unter anderem das Hormon Cortisol eine große Rolle dabei zu spielen, wie stressresistent und psychisch widerstandsfähig wir uns entwickeln: Bei Ratten wurde nachgewiesen, dass ein permanent erhöhter Cortisolspiegel ein wesentlich größeres Stressempfinden nach sich zieht als in einer Vergleichsgruppe mit „normalem“ Cortisolspiegel. Auch Gene wurden identifiziert, die bestimmen, ob wir uns von negativen Ereignissen stark beeinflussen lassen oder nicht: Das Gen 5-HTT beeinflusst den Transport von Serotonin, einem Botenstoff in unserem Gehirn, der unsere Gefühlslage mitbestimmt. Menschen mit einer bestimmten Variante dieses Gens haben vereinfach gesagt „mehr Glücksbotenstoff im Gehirn“.
Die enge Verbindung zwischen unbewussten Körperprozessen und der Bewältigung von Anforderungen in sozialen Systemen ist Gegenstand der Polyvagaltheorie, die der Neurophysiologe Stephen Porges begründete. Er wies nach, dass der Körper durch sogenannte Neurozeption kontinuierlich die möglichen Gefahren der Umwelt einschätzt und durch Sympathikus- und Parasympathikus-Aktivität unsere Reaktion darauf beeinflusst. Die Kombination aus der wahrgenommenen Gefahren- bzw. Sicherheitssituation und der entsprechenden Aktivierung oder Demobilisation unseres Körpers löst verschiedene Zustände aus, mit denen der Mensch seinen Anforderungen begegnen kann – bekannt sind beispielsweise die Reaktionen „Angriff“ oder „Totstellen“ in Gefahrensituationen. Laut der Polyvagaltheorie können wir auch in sicheren Situationen entweder unsere Aktivität steigern (zur sozialen Interaktion) oder mindern (bei der Fürsorge und Beruhigung anderer Personen). Aber nur in einer als sicher wahrgenommenen Situation ist der Mensch in der Lage, seine Reaktion bewusst und absichtlich zu regulieren.
Forschung zu Resilienz im Arbeitskontext
Seit Organisationale Resilienz im Zusammenhang mit den teils disruptiven Entwicklungen der VUCA-Welt stärker in den Fokus rückt, beschäftigen sich Forschergruppen zunehmend auch mit Resilienz im Arbeitsumfeld: Wie können Organisationen gleichzeitig Sicherheit und Flexibilität entwickeln und in Balance halten, um so Krisen besser zu bewältigen?
Das Projekt resilire erforscht in Kooperation mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, welches Verhalten die drei Basiskomponenten der Resilienz Achtsamkeit, Optimismus und Selbstwirksamkeit unterstützt. Das Projekt bezieht sich vor allem auf ältere ArbeitnehmerInnen um deren Verweildauer in Unternehmen zu verlängern.
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erforschte das Projekt „STÄRKE – starke Beschäftigte und starke Betriebe durch Resilienz“ bis 2018 die Bedingungen für individuelle und organisationale Resilienz. Im Mittelpunkt stand die Mikroperspektive, d. h. die Analyse und Entwicklung der individuellen Resilienz aus der Mitarbeiterperspektive. Die Resilienz der Individuen und der Firmen wird mithilfe von fünf Handlungsfeldern charakterisiert, deren Analysebasis das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) ist. Die individuelle Resilienz der Mitglieder einer Organisation ist ein wichtiger Baustein organisationaler Resilienz, aber die Entwicklung hin zu einer resilienten Unternehmenskultur umfasst wesentlich mehr Faktoren (vgl. Heller 2018).
2017 erarbeitete die Internationale Organisation für Standardisierung (ISO) in der ISO-Norm 22316 Empfehlungen zur Förderung organisationaler Resilienz, mit 9 konkreten Handlungsfeldern.
Von der Resilienzforschung zur praktischen Anwendung
Letztendlich ist es das Zusammenspiel einer individuellen Disposition und einer Vielzahl beeinflussbarer, externer und interner Faktoren, die „Resilienz“ entstehen lassen. Forschung kann immer nur einen kleinen Ausschnitt aus diesem Konstrukt betrachten. Die große Herausforderung ist es deshalb, wissenschaftliche Ergebnisse anwendungsorientiert zusammenzufassen und umzusetzen – beispielsweise in Form eines Resilienztrainings, in dem die TeilnehmerInnen wissenschaftlich fundierte Übungen zu den verschiedenen Resilienzschlüsseln kennenlernen und in die Ziele für ihre persönliche Resilienzentwicklung integrieren.