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Leuchtturm in wilder See

VUCA-Welt

„Entscheidend ist nicht, wie der Wind weht, sondern wie ich die Segel setze.“

Eigentlich lieben wir alle die Vorhersagbarkeit: Sie ermöglicht es uns überhaupt erst, Entscheidungen zu treffen und unser alltägliches Leben meistern zu können, ohne bei jedem kleinen Handgriff, bei jeder Idee erst komplexe Berechnungen anstellen zu müssen, was diese Handlung oder Idee für Konsequenzen haben könnte. Aber: Wenn Sie nach einer Umstrukturierung Ihres Unternehmens Ihr Team endlich wieder so aufgestellt haben, dass alle Arbeitsabläufe routiniert durchgeführt werden können und sich alles eingespielt hat – können Sie dann davon ausgehen, dass diese Routine für die nächsten Jahre so weiterläuft? Die Antwort ist: eher nein.

Selbst wenn wir alles bis ins kleinste Detail planen und alle Eventualitäten bedacht zu haben glauben, kommt meist doch alles anders, als wir denken. Wir leben in einer VUCA – Welt – also einer, die geprägt ist von Volatilität (Unbeständigkeit), Unsicherheit, Komplexität (complexity) und Ambiguität. Die Begriffe bedeuten im Detail:

  • Volatilität: Die Änderungen in unserer Umwelt werden immer häufiger, schneller und extremer.
  • Unsicherheit: Wir können immer weniger Vorhersagen über zukünftig zu erwartende Ereignisse treffen
  • Complexity: Die uns umgebende Umwelt wird immer verknüpfter, es spielen zunehmend mehr Abhängigkeiten in jede Thematik hinein
  • Ambiguität: Die Faktenlage wird immer mehrdeutiger, es wird immer schwieriger, zutreffende und präzise Beurteilungen zu treffen

Welche Bedeutung hat VUCA für uns und die Welt, mit der wir interagieren? Das eingangs erwähnte Zitat vom Segelschiff versinnbildlicht, wie wir mit einer solchen Welt umgehen können – statt starr und gegen alle Widerstände zu versuchen, unsere Pläne zu verwirklichen, können wir nämlich die unlenkbare Kraft unserer Umwelt in unserem Sinne nutzen, um unsere Vorhaben durchzuführen. Flexibilität und Offenheit für Unvorhergesehenes bringen uns in dieser Welt mit weniger Kraftanstrengung weiter als Starrheit und stures Voranpreschen. Trotzdem ist die beste Strategie natürlich nicht, abzuwarten und dann willkürlich auf die Ereignisse zu reagieren, sondern sich bereits im Vorfeld klarzumachen, welche Reaktionsstrategie in welcher Situation die angebrachteste ist.

Professor Bennett von der Georgia State University schlägt vor, verschiedene Reaktionsstrategien anzuwenden, je nachdem auf welcher der vier VUCA-Kategorien – Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität – in einer bestimmten Situation der Fokus liegt. Zwei Fragen sind entscheidend, um eine Struktur in die VUCA-Welt zu bringen: Wieviel wissen wir über die Situation? Und zum anderen: Wie gut können wir die Ergebnisse unserer Handlungen in dieser Situation voraussagen?

Volatilität: Über eine Situation, die von Volatilität geprägt ist, wissen wir relativ viel und wir können auch relativ gut voraussagen, wie sich unser Handeln auswirken wird. Dennoch kann eine solche Situation durchaus eine große Herausforderung darstellen: Stellen Sie sich z.B. vor, Sie sind als Nahrungsmittelhändler auf Nusswaren spezialisiert. Durch eine anhaltende Unwetterperiode in Kalifornien, dem größten Produktionsgebiet, ist die Mandelernte dieses Jahr extrem schlecht ausgefallen, was zu einer Verknappung und damit Verteuerung ihrer Bezugsquellen führt, während die Nachfrage in Ihren heimischen Märkten gleichbleibend hoch ist.

Reaktionsstrategie: Puffer aufbauen und viel in Vorbereitung investieren. Eine großzügige Lagerhaltung und die gleichzeitige Pflege unterschiedlicher Lieferantenbeziehungen sind natürlich teuer – daher muss das Risiko gut kalkuliert werden, damit die zusätzlichen Kosten am Ende geringer sind als die Gewinne einer solchen Strategie.

Unsicherheit: Eine Situation zeichnet sich vor allem durch die Komponente der Unsicherheit aus, wenn zwar im Grunde alle relevanten Ursachen und Effekte der einzelnen Komponenten einer Situation bekannt sind, aber die Resultate des eigenen Handelns trotzdem nur schwer vorhersagbar sind. Stellen Sie sich dafür die Fusion zweier gut aufgestellter Unternehmen vor – es gibt nur wenige Unbekannte in der Funktionsweise beider Unternehmen, dennoch ruft die Fusion wahrscheinlich gänzlich neue und unvorhergesehene Situationen hervor.

Reaktionsstrategie: Konzentrieren Sie sich darauf, alles über die Situation zu erfahren, was nur irgendwie in Erfahrung zu bringen ist. Bauen Sie ein Informationsnetzwerk um sich herum auf mit Netzwerkpartnern, die andere Aspekte der Situation kennen könnten oder vielleicht in ähnlichen Situationen waren; teilen Sie Informationen und profitieren Sie von den Informationen, die Sie im Gegenzug erhalten.

Komplexität: In einer hochkomplexen Situation ist zwar das Wissen über die einzelnen Komponenten der Situation vorhanden, jedoch ist die schiere Menge an relevanten Einflüssen oft überwältigend und nicht mehr zu verarbeiten. Deswegen ist das Gesamtwissen über die Situation relativ gering, auch wenn Sie bei jedem Schritt in etwa die Konsequenzen Ihrer Handlung vorhersagen können: Beispielsweise wenn Sie ein Salesteam mit Teammitgliedern verantworten, die jeweils in unterschiedlichen Ländern angestellt sind und mit unterschiedlichen Märkten arbeiten.

Reaktionsstrategie: Passen Sie die Strukturen Ihres Unternehmens den Gegebenheiten an, um möglichst flexibel und schnell reagieren zu können. Dezentralisieren Sie also zum Beispiel die Leitung des Salesteams, oder stellen Sie einen Expertenpool für die verschiedenen Märkte zusammen, der alle Mitglieder des Teams unterstützt.

Ambiguität: Im Gegensatz dazu ist in einer von Ambiguität geprägten Situation weder unser Wissen über die aktuelle Situation und ihre Gründe, noch über die möglichen Auswirkungen unserer Initiativen besonders groß. Als Beispiel dafür führt Bennett einen Produktlaunch in einem neu entstehenden, Ihnen unbekannten Markt an – Sie können also weder voraussagen, wie oder warum der Markt auf Ihr Produkt reagieren wird, noch können Sie die tatsächliche Komplexität der Situation richtig einschätzen.

Reaktionsstrategie: Experimentieren. In dieser Situation haben Sie die größte Unvorhersagbarkeit – und die größte Freiheit, Neues auszuprobieren. Nutzen Sie dabei iterative Strategien, d.h. Hypothesen aufstellen, handeln, Wirkung überprüfen, weitere Schritte planen – eine zentrale Vorgehensweise beim Agilen Management. Seien Sie kreativ, aber sorgen Sie dafür, dass die „Lessons learned“ nicht verloren gehen.

Ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem richtigen Maß an Vorbereitung und einem Raum für Experimente, kann schwierig sein. Aber genau das, was als belastend an der VUCA – Welt empfunden wird können Sie auch als Vorteil sehen: nämlich das Fehlen von nachvollziehbaren Regeln. Wo noch keine Autobahnen existieren, da kann jeder einzelne seinen eigenen Weg zum Ziel finden.

Apropos Ziel: Klar ist natürlich, dass auch ein flexibler Kurs eine Richtung braucht. Ziele sind unsere Leuchttürme im VUCA – Sturm und zeigen immer, ob die eingeschlagene Richtung gerade passt. Schließlich wollen Sie ja auch im stürmischen Wetter dort ankommen, wo Sie hinwollen und nicht – je nach Windrichtung – willkürlich irgendwo angeschwemmt werden.

Zum Weiterlesen zum Thema VUCA – Welt und agile Organisation:

  • Amann, E. & Alkenbrecher, F. (2014). Das Sowohl-als-auch-Prinzip: Resilienz: Mit Sicherheit stark durch die Krise. Berlin: Pros Business
  • Bennett, N., & Lemoine, G.J. (2014). What VUCA Really Means for You. Harvard Business Review, January/February, 27.
  • Pfläging, N. (2014). Organisation für Komplexität: Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht. München: Redline
  • Pfläging, N. (2015). Komplexithoden: Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. München: Redline
  • Kotter, P. (2015): Accelerate: Strategischen Herausforderungen schnell, agil und kreativ begegnen. München: Vahlen
  • Laloux, F. (2015): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen
  • Rüegg-Stürm, J. (2003): Das neue St. Galler Management-Modell. Grundkategorien einer integrierten Managementlehre. Der HSG-Ansatz. Bern: Haupt

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