JA zum Leben sagen - eine Treppe nach oben

Trotzdem JA zum Leben sagen

So lautet der Bericht von Viktor Frankl, der als Psychologe das Konzentrationslager erlebt hat. In „Trotzdem JA zum Leben sagen“ analysiert er, wie sich der Alltag in der Seele der Menschen gespiegelt hat und mit welchen Strategien sie um ihre Lebenserhaltung gekämpft haben. Wichtig war ihm, dass Menschen einen Sinn brauchen, damit sie – egal wie schwierig und grausam die Umstände sind – trotzdem JA zum Leben sagen.

Unsere aktuelle Situation ist in keinster Weise vergleichbar mit damals. In Frankls damaliger Situation ging es um umfassende Verlusterfahrungen. Täglich waren die Menschen extremsten Situationen ausgesetzt. Bei uns sind die Supermärkte gefüllt. Wir können einkaufen, auch wenn unsere wirtschaftliche Situation zunehmend kritisch wird und durchaus Menschenleben durch den Corona-Virus bedroht sind. Lernen können wir jedoch sehr wohl aus Frankls Erfahrungen, um mit Resilienz die nächsten Wochen für uns zu gestalten.

3 Phasen des Lagerlebens

Frankl beschreibt drei Erlebens-Phasen mit unterschiedlichen seelischen Reaktionen der Häftlinge.

1. Phase: Aufnahme ins Lager

Die Gefangenen mussten bei der Aufnahme ins Lager erstmal verschiedene Selektionen überstehen sowie ein Desinfektionsbad. Das Schockempfinden wurde von manchem anfangs noch verdrängt – „so arg wird`s doch nicht“ – aber wich dann rasch einem Gefühl von Ausweglosigkeit und Erkennen der allgegenwärtigen Todesgefahr. Frankl schreibt: „So zerrann eine Illusion nach der anderen.“ Jedoch blieb eine Art Galgenhumor und auch eine kühle Neugier, eine Schutzreaktion der Seele, die auf Beobachtermodus umstellt. Dies ist eine Strategie, um sich emotional weniger betroffen zu fühlen. Empfehlungen für die Neuankömmlinge von anderen Lagerinsassen lauteten: „Rasiert euch, steht und geht immer stramm. Erweckt den Eindruck der Arbeitsfähigkeit.“

2. Phase: Ablauf des Lagerlebens

Nach wenigen Tagen begann das Stadium der relativen Apathie, wo anfangs noch Ekel und wegschauen, dann zunehmendes Abstumpfen und hinschauen – egal was passierte – vorherrschte. Dieses „Unempfindlich-werden“ bezeichnet Frankl als Panzerschicht der Seele. Einzige Aufgabe war die pure Lebenserhaltung. Gleichzeitig flüchteten sich viele nach innen, in Gedanken an den geliebten Partner, die geliebte Partnerin oder das frühere Leben. Im Kampf um die Selbsterhaltung erfanden Frankl und ein Kamerad lustige Geschichten. Auch Singen, Gedichte vortragen, Kabarett und Musizieren waren seltene, jedoch wichtige Momente für den Überlebenskampf.

Die Ungewissheit des Endes des Lagerlebens machte den Häftlingen zu schaffen. Wer meinte, zu einem bestimmten Zeitpunkt befreit zu werden, starb meist, wenn der Zeitpunkt überschritten wurde. Der Halt an einem Zielpunkt in der Zukunft ist jedoch nach Frankl zentral, um einen inneren Halt zu haben. Frankl selbst stellte sich als Vortragsredner vor, wie er über die Psychologie des Lagers spricht. Dieser „Trick“ ermöglicht, sich über die konkrete Situation zu stellen, sie distanziert zu betrachten, so als ob sie bereits Vergangenheit sei. Frankl schreibt: „Man kann dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen, nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. (…) Was das Lager aus einem Menschen scheinbar „macht“, ist das Ergebnis einer inneren Entscheidung.“

3. Phase: Die Befreiung

Ohne Bewacher einfach so durchs Tor gehen in die Freiheit, den Weg entlang, über eine Wiese – das erschien anfangs wie ein Traum. Man konnte es nicht fassen. Das Umfeld war wahrnehmbar, aber ohne Gefühl, ohne sich zu freuen. Jedoch viel essen und erzählen, den Druck entladen, das war erstmal wichtig. Irgendwann löste sich dann auch etwas im Inneren, so dass wieder Zugang zum Gefühl entstand. Frankl bezeichnet diesen Moment als Beginn des neuen Lebens.

Auch bei Krisen – trotzdem JA zum Leben sagen

Frankl zitiert Nietzsche: „Wer ein WARUM zu leben hat, erträgt fast jedes WIE.“

Und Frankls Botschaft lautet: „Wer um einen Sinn seines Lebens weiß, dem verhilft dieses Bewusstsein mehr als alles andere dazu, äußere Schwierigkeiten und innere Beschwerden zu überwinden.“ Er gab zudem der Fragestellung nach dem Sinn des Lebens eine neue Wendung: „Es kommt nicht darauf an, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, sondern vielmehr darauf: was das Leben von uns erwartet! Wir müssen uns den Fragen stellen, die das Leben täglich und stündlich an uns stellt, und die wir nicht durch ein Grübeln oder Reden zu beantworten haben, sondern nur durch ein Handeln, ein richtiges Verhalten.“

Empfehlungen für die heutige Situation: Trotzdem JA zum Leben sagen heute

Aus den drei Phasen des Lagerlebens können folgende Punkte abgeleitet werden (auch wenn unsere aktuelle Krise völlig andere Facetten hat):

  • Wahrnehmen mit kühler Neugier:
    Sich verrückt machen mit Horrorszenarien hilft wenig. Wir sollten klar denkfähig bleiben, kühl rechnen und anpassen, reduzieren, was möglich ist.
  • Haltung einnehmen:
    Sich hängen lassen und verzweifeln bringt uns nicht weiter. Wir können etwas für unsere Fitness und für die körperliche Entspannung tun. Wer im Homeoffice ohne Wegezeiten arbeitet oder in Kurzarbeit ist, hat mehr verfügbare Zeit.
  • Humor, Singen, Musizieren, Musik hören:
    Trotz der Schwierigkeiten dürfen wir die Dinge leicht nehmen und uns das Leben angenehm machen.
  • Mit anderen reden und Zugang zum Gefühl:
    Sich austauschen, Freude, lachen, etwas erleben – das geht auch allein, in 2er Gruppen oder am Telefon, da wir aktuell direkte Kontakte ja eher meiden müssen.
  • Halt an einem Zielpunkt:
    Es geht nicht um einen fixen Zeitpunkt, wann das alles vorbei ist und wir weitermachen können wie bisher. Für jede/n Einzelne/n kann diese Zeit eine Chance für Entwicklung und Innovation sein. Wir können uns auf die wesentlichen Dinge besinnen – weg von einem höher, schneller, weiter… Wir können Visionen entwickeln, woran wir uns orientieren.
  • Innere Entscheidung:
    „Zwischen Reiz und Reaktion, da liegt die Freiheit.“ Wir können entscheiden, wie wir mit der Situation umgehen wollen. Wir sind nicht Opfer, sondern auch in der aktuellen Situation können wir verantwortlich handeln und gestalten.
  • Sinn im Leben:
    Warum tue ich das was ich tue? Wozu ist das gut? Was ist mein Beitrag für die Welt? Was ist meine Berufung? Das könnten zentrale Fragen sein, die wir uns jetzt beantworten könnten. Hilfe leisten, Rücksichtnahme, Verzicht, Beziehungen und Freundschaften stärken, Fokus auf das Lokale – auch das sind aktuelle Entwicklungen, die Mut machen.

„Schau nicht starr und angstvoll auf die Situation wie sie ist, sondern versuche in deinen Möglichkeiten das Bestmögliche für dich und deine Mitmenschen daraus zu machen.

Folgende Fragen könnten dabei hilfreich sein:

  • Welche Frau, welcher Mann möchte ich in dieser Situation gewesen sein?
  • Welche Mutter, welcher Vater für meine Kinder?
  • Welche Großmutter, welcher Großvater für meine Enkel?
  • Welcher Mitarbeiter, welche Mitarbeiterin will ich sein?
  • Welche Führungskraft will ich sein? (ergänzt JH)
  • Was soll jetzt konkret von mir ausgehen? Welche Haltung, welche Handlung?
  • Was würde mir leid tun, jetzt nicht gelebt, geliebt, entschieden, gestaltet zu haben?“

Diese Empfehlung und dazu die Fragen würde Viktor Frankl geben nach Einschätzung des Wiener Frankl Zentrums (https://www.franklzentrum.org/home.html).

Mit Resilienz unser Leben gestalten

Resilienz bedeutet mit innerer Regulationskompetenz situationselastisch zu agieren, um Herausforderungen zu meistern. Genau darum geht es in der aktuellen Situation, denn die Corona-Krise geht für viele von uns mit außergewöhnlichen Belastungen einher. Oft ist gar nicht entscheidend, wie schwer solche Belastungen objektiv sind, sondern vielmehr, wie sehr sie uns beeinträchtigen. Deswegen sind die Erkenntnisse von Frankl für uns so wichtig: Es kommt immer darauf an, wie wir unsere Situation bewerten und wie wir genug Sinn finden, um weiterzumachen. So auch jetzt: Ja, wir müssen Vorsichtsmaßnahmen einhalten. Manches fühlt sich im ersten Moment als Einschränkung oder Verlust an. Wirtschaftlich ist die Lage nicht so ganz leicht. Und trotzdem sollten wir „JA zum Leben sagen“ mit allen Aspekten – das Positive und die Chancen in der jetzigen Situation sehen, uns Ziele definieren, die uns Sinn geben über das tägliche „Durchhalten“ hinaus.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie gut durch die nächste Zeit kommen. Passen Sie auf sich auf und sorgen Sie für sich!

 


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