Jutta Heller im ZdF-Interview

Unsicherheitstoleranz: Für Sicherheit in der Unsicherheit

Angesichts der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat das ZDF bei mir angefragt, wie Menschen sich mental auf solche Ausnahmesituationen vorbereiten und damit zurechtkommen können. Von einem ziemlich langen Online-Interview passte dann zeitlich nur ein kurzer Ausschnitt in den Beitrag von Peter Kunz im heute Journal , aber auch der bringt ziemlich gut auf den Punkt, was während und vor allem vor solchen Situationen extrem wichtig ist: nämlich Unsicherheitstoleranz (zu sehen im Video ab Minute 8:25).

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Unsicherheitstoleranz unterstützt uns dabei, Sicherheit in der Unsicherheit zu finden. In einer akuten Notsituation, in der einem das eigenen Haus unter den Füßen weggespült wird, empfindet sicherlich niemand ein Gefühl von Sicherheit! Und bei sehr schweren persönlichen Verlusten, oder sogar dem Verlust von geliebten Menschen, gibt es manchmal tatsächlich kaum Trost außer der ehrlichen Anteilnahme von Anderen, die uns in den Arm nehmen und festhalten.

Andere Situationen aber, die vergleichsweise glimpflich abgelaufen sind, scheinen uns manchmal genauso unüberwindbar, wenn wir gerade drinstecken. Wer da von vornherein einkalkuliert, dass Krisen passieren können, gerät wahrscheinlich nicht so schnell oder so lang in eine Schockstarre, sondern geht die Situation eher aktiv an als andere. Und genauso hilft uns Unsicherheitstoleranz dabei, nach einer Krise schneller in die Neuorientierung und Regeneration zu gehen.

Unter Unsicherheitstoleranz, oder auch Ungewissheitstoleranz, versteht man die Fähigkeit, Mehr- und Vieldeutigkeiten von Situationen als Bereicherung zu empfinden anstatt als Bedrohung. Sie hilft uns bei der Wahrnehmung von Krisen, der Krisen-Prävention und -Handhabung und auch beim Rückblick auf Krisen.

In einer akuten Krisen-Situation heißt das nicht nur, grundsätzlich zu akzeptieren, dass Krisen jeder/-m und jederzeit passieren können (ohne ständig darüber nachzudenken, dass sie bestimmt passieren werden – ich spreche hier nicht von Schwarzseherei, sondern von gesundem Realismus!). Es bedeutet zudem, dass wir die Krise auch als solche wahrnehmen können, wenn sie denn eingetreten ist. Dass wir die Gefahr, die in der Situation besteht, wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren. Denn der Schock, den eine Notsituation anfangs in uns auslöst, macht uns fassungslos: Wir können einfach nicht glauben, dass da wirklich gerade etwas passiert bzw. was passieren wird. Und das kann durchaus dazu führen, dass wir nicht wahrhaben wollen, in welcher Krise wir uns  befinden und die eigene Betroffenheit gar nicht richtig einschätzen können.

Während der Flutkatastrophe kam es zu Zwischenfällen, bei denen Einwohner*innen trotz Aufforderung der Feuerwehr ihre Häuser nicht verlassen wollten, weil sie sich einfach nicht vorstellen konnten, dass die Flut wirklich auch sie betreffen sollte.

Unsicherheitstoleranz hilft uns hier, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen: „Ich weiß gerade überhaupt nicht, was los ist; diese Situation ist völlig neu und nie dagewesen. Könnte es sein, dass es andere Blickwinkel darauf gibt als den, den ich gerade einnehme?“ Dazu kann auch gehören, denjenigen Menschen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, die in einer solchen Situation Expert*innen sind und sie aus Erfahrung besser einschätzen können.

Unsicherheitstoleranz unterstützt auch dabei, ins Handeln zu kommen, obwohl die Situation unübersichtlich und nicht kontrollierbar ist. Angesichts der überwältigenden Situation können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, anstatt in die Starre zu verfallen. Meist kann eine große Krise Schritt für Schritt angegangen werden, wenn wir es erst schaffen, aktiv zu werden. Austauschen über eine Notsituation ist gut – aber es hilft niemandem, im Jammermodus zu bleiben. Schon jetzt sehen wir viele Bilder von den Menschen, die eine Schaufel packen und erst einmal damit anfangen, ihre Häuser von Schlick und Matsch zu befreien.

Das Wesentliche ist: erst einmal sehen, was heil geblieben ist!

Und diese Konzentration auf das, was heilgeblieben ist, kann auch beim Rückblick auf eine Krisensituation enorm helfen. Vielleicht ist das die Konzentration darauf, dass wir selbst und wichtige Menschen die Katastrophe – hoffentlich! – überstanden haben. Vielleicht auch auf die eine ganz wichtige Sache, die wir retten konnten oder auch auf die Erinnerung daran, wie gut es lange war. Ein Rückblick auf eine Krise kann sehr schmerzhaft sein. Wenn wir es aber schaffen, das wertzuschätzen, was wir hatten und was wir immer noch haben, und die Trauer zulassen können: Erst dann gelingt es uns, loszulassen und uns neu zu orientieren. Denn auch Regeneration und Neuorientierung bringen viele Unsicherheiten mit sich. Wir müssen uns auf neue Ideen und Wege einlassen, wir müssen irgendwann das „was wäre gewesen, wenn…“ hinter uns lassen können. Mein liebstes Beispiel dafür beschreibt Al Siebert in seinem Buch „The Resiliency Advantage“ (2005. San Francisco, S. 133): Es ist die Geschichte eines jungen Schauspielers in Kalifornien, dessen Haus mit all seinen Sachen bei einem Erdbeben abbrannte. Nur seine Badehose hatte er noch und sein Leben. Nachbarn halfen ihm, über die Katastrophen-Notfallhilfe bekam er 5000 Dollar. Mit diesem Geld konnte er endlich Mitglied im Filmschauspielerverband werden, was ihm neue und bessere Engagements einbrachte. Seine Erfahrung bewertete er so:

“The fire turned from a tragedy into a blessing, in both professional and personal ways. The fire strengthened my belief that things can be replaced and that the most important aspect of any event is how you react to it.”

Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie – vielleicht schon jetzt, vielleicht auch erst eines Tages in der Zukunft – das Gute in den Krisen sehen können, die Ihnen wiederfahren sind und dass Sie immer sicherer werden auch in der Unsicherheit!


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