Vertrauen stärken: Spielregeln für psychologische Sicherheit

Montagmorgen, 9 Uhr. Das Projektteam sitzt im Weekly, die Gesichter noch etwas müde vom Wochenende. Die Führungskraft zieht das Meeting strukturiert und effizient durch, wie immer. Dann schaut sie in die Runde: „Gibt es noch irgendetwas Wesentliches?“ Allgemeines Murmeln, niemand sagt etwas Konkretes und das Weekly ist damit für beendet erklärt.

Aus Erfahrung wissen hier eigentlich alle, dass es besser ist zu schweigen – gerade, wenn es im Projekt brenzlige Situationen gibt, die nicht ganz unter Kontrolle sind. Denn wer sich äußert, muss mit Detailfragen rechnen, muss sich rechtfertigen oder kassiert sogar eine öffentliche Ermahnung vor allen anderen.  Also bleibt es ruhig und es weist lieber niemand darauf hin, dass die Abstimmung mit dem externen Dienstleister hakt oder die Schnittstellen im Backend noch nicht final getestet sind. Man spricht lieber in kleineren Gruppen – oder eben gar nicht.

Die Führungskraft dagegen deutet das Schweigen als Zustimmung. Dass es in Wirklichkeit Anpassung aus Angst ist – das merkt sie nicht.

Von außen gesehen scheint es offensichtlich, dass das Vertrauensverhältnis in diesem Team gestört ist. Aber wenn man drinsteckt, ist es gar nicht so einfach, Unsicherheit bei sich selbst und im eigenen Team zuzulassen und auszuhalten. Und der richtige Umgang mit Unsicherheit ist die Voraussetzung dafür, dass sich Vertrauen entwickeln kann: Denn niemand kann wissen, was in der Zukunft passiert, aber ein Team will sich auf ihre Führungskraft verlassen können, ihr vertrauen können. Angesichts einer global unsicheren Welt, in der bisher Selbstverständliches auf einmal von heute auf morgen umgeworfen werden kann, reagieren viele Führungskräfte leider reflexartig mit mehr Kontrolle. Sie wollen Sicherheit und Stabilität schaffen zumindest in den Bereichen, in denen sie einen direkten Einfluss haben.

Für das Team aus dem Beispiel oben ist das aber nach hinten losgegangen. Wie können wir also Führungskräfte in Zeiten von globalen Krisen und komplexen und unsicheren Zukünften dabei unterstützen, Vertrauen in ihren Teams aufzubauen und sie gut durch unsichere Zeiten zu führen?

Führung in unsicheren Zeiten: Zwischen Kontrollimpuls und Gängelung

Führung geht meiner Meinung nach nur mit Vertrauen, und das gilt gerade in schwierigen Zeiten. Denn Kontrolle kann zwar kurzfristig Sicherheit vermitteln, langfristig aber verhindert übermäßige Kontrolle Innovation im Team, und als Folge wandert immer mehr Verantwortung auf die Schultern der Führungskraft. Und Kontrolle kann sogar richtig kontraproduktiv sein, wenn sie immer mehr zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Führungskraft und Mitarbeiter*innen wird und es zunehmend darum geht, wer wen austrickst. Wir leben in einer Zeit, in der es einfacher als je ist, Mitarbeiter*innen technisch zu kontrollieren: Es gibt Unternehmen, die eine durchgängige Kamerapflicht im Home-Office eingeführt haben (um zu kontrollieren, wie lange sie wirklich am Schreibtisch sitzen) oder automatisiertes Cursor-Tracking durchführen (um einschreiten zu können, wenn der Cursor zu lange nicht bewegt wird). So wollen sie sicherstellen, dass die Mitarbeiter*innen in ihrer Zeit im Home-Office nichts tun, was nicht als „Arbeit“ identifizierbar ist. Was die Reaktion mancher Mitarbeiter*innen in Zeiten KI-generierter Videos und anderer technischer Rafinessen ist, kann man sich vorstellen…

Tatsächlich fördern übermäßige Kontrolle und technische Überwachung eher Täuschungsstrategien und führen dazu, dass das Vertrauen schwindet. Es entsteht eine Spirale aus Anpassung und innerem Rückzug: Die Mitarbeiter*innen tricksen das System aus in dem Gefühl, dass ihnen von Unternehmensseite sowieso Täuschung unterstellt wird. Wir müssen Führungskräfte gegenüber solcher Risiken übertriebener Kontrolle sensibilisieren und ihnen Methoden an die Hand geben, wie sie ein vertrauensvolles Arbeitsumfeld aufbauen können. Für ein solches Umfeld hat Amy Edmondson einen griffigen Begriff geprägt: Psychologische Sicherheit.

Führung mit Psychologischer Sicherheit

Psychologische Sicherheit ist der Begriff für einen angstfreien Raum, in dem Menschen Ideen äußern, Fehler zugeben und mutig agieren können. Er beschreibt ein Arbeitsumfeld, in dem sich alle Teammitglieder trauen, ihre Meinung und Ideen zu äußern, ohne Angst vor Zurückweisung durch die Führungskraft oder durch andere Team-Mitglieder. Psychologische Sicherheit bedeutet zum Beispiel:

  • Fehler zugeben statt verheimlichen
  • Lösungen suchen statt Schuldige
  • Miteinander reden statt übereinander
  • Gefühle zeigen statt Fassade wahren
  • Andere verstehen wollen statt Recht haben wollen

Kurz gesagt: Es ist ein Arbeitsumfeld, in dem sich alle wohlfühlen. Manche Teams haben das Glück, dass sich ein solches Arbeitsumfeld von selbst einstellt, weil die Team-Mitglieder gut zusammenpassen und sich auch menschlich sehr nahe sind. Aber auch in anderen Teams kann viel dafür getan werden, dass sich psychologische Sicherheit entwickeln kann. Wie bereits geschrieben: Der Grundstein dafür ist Vertrauen, und deswegen setze ich in Trainings und Coachings auf Maßnahmen, die einerseits das Vertrauen der Führungskräfte selbst stärkt und ihnen andererseits zeigt, wie sie das gegenseitige Vertrauen im Team entwickeln können.

Die Trias des Vertrauens erlernen

Wir sprechen oft von der Vertrauens-Trias. Vertrauen hat drei Aspekte: Selbstvertrauen, Vertrauen in die Anderen und Vertrauen in eine gute Zukunft.

Selbstvertrauen

Selbstvertrauen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, auch anderen vertrauen zu können. Wahrscheinlich kennen fast alle Menschen Zweifel an sich selbst, wenn sie eine neue, komplexe Aufgabe angehen: „Kann ich das überhaupt? Bin ich dafür nicht zu alt/unerfahren/langsam…? Was, wenn ich das nicht schaffe?“ Wir wollen, dass alles von Anfang an perfekt ist – und das nährt Zweifel. Dazu kommen innere Glaubenssätze, die unser Selbstvertrauen untergraben und zusätzlich unter Druck setzen. In Führungspositionen sind das oft solche Sätze wie „Ich muss stark sein“ oder „Mein Team erwartet von mir, dass ich weiß, wo es lang geht.“  Es ist wichtig, solche hinderlichen Glaubenssätze in Coachings oder Trainings aufzudecken und so zu verändern, dass sie einen stärken können. Zum Beispiel um auch in großer Unsicherheit Entscheidungen treffen zu können: „Ich vertraue darauf, dass ich mit Wissen und Intuition richtig entscheide!“

Solche neuen, unterstützenden Glaubenssätze sollen sich für den- oder diejenige, die sie formulieren, SEXY anhören, also höchst attraktiv. Hilfreich ist beispielsweise, sich eine konkrete Situation vorzustellen, in der man strahlt, nachdem man eine Entscheidung getroffen haben. So kann das Selbstvertrauen dauerhaft gestärkt werden: Das Gehirn „glaubt“, was es erlebt. Am besten werden solche neuen Selbstbeschreibungen gemeinsam unter professioneller Anleitung entworfen – denn nicht für alle ist es gut, morgens dreimal „Du bist super!“ in den Spiegel zu sagen. Wahrscheinlich sogar für die wenigsten. In Trainings oder Coachings dagegen entwickeln wir passende starke Sätze, die aus der Person selbst kommen und sie wirklich nachhaltig unterstützen. Ein Tipp von mir an meine Teilnehmer*innen: Den Satz jemandem präsentieren, dem man vertraut, und ihn dabei laut mit Inbrunst aussprechen. Sich dann Feedback geben lassen, wie glaubwürdig der Satz klingt, und selbst in sich nachspüren – wenn der Satz einen noch nicht ins Schmunzeln bringt, empfehle ich, noch ein wenig nachzufeilen.

Vertrauen in andere

Vertrauen ist immer ein Risiko: Wenn wir einer anderen Person vertrauen, lassen wir Kontrolle los und können auch enttäuscht werden. Wir machen uns verletzlich, denn als Führungskraft beispielsweise sind wir dafür verantwortlich, bestimmte Ergebnisse abzuliefern, und dafür darauf angewiesen, dass das Team eine bestimmte Leistung erbringt.

In einem Arbeitsverhältnis ist es die Unternehmensseite, beziehungsweise die Führungskraft in Vertretung des Unternehmens, die ein Vertrauensverhältnis durch einen Vertrauensvorschuss möglich machen muss.  Die meisten Mitarbeiter*innen verhalten sich so, wie sie behandelt werden – wenn sie als vertrauenswürdig behandelt werden, tendieren sie dazu, diese Erwartung auch zu erfüllen. Und natürlich bedeutet das für Führungskräfte nicht, blind zu vertrauen und jegliches Verhalten zu tolerieren – sondern die eigenen (positiven) Erwartungen mit dem Verhalten abzugleichen und zu justieren. So kann Vertrauen zwischen allen Parteien wachsen.

Vertrauen zeigt sich innerhalb des Teams auch darin, dass (auch unausgesprochene) Regeln nicht gebrochen werden. Dass die Teammitglieder signalisieren, dass sie die Regeln kennen, und dass sie im begründeten Ausnahmefall einen Regelbruch so schnell wie möglich kommunizieren und erklären werden. Auf den ersten Blick scheint es widersprüchlich, dass Vertrauen auch auf Regeln basiert – aber ohne Regeln wäre eine Zusammenarbeit nicht vertrauensvoll, sondern willkürlich. Eine gute Maßnahme für einen vertrauensbildenden Workshop kann daher ein Team-Workshop sein, in dem die Regeln für die Zusammenarbeit ausgehandelt und artikuliert werden. Wenn es in den Wertekontext und die Kommunikationsweise eines Unternehmens passt, kann eine solche Regel auch so vage sein wie: „Wir behandeln uns gegenseitig mit Wohlwollen und fair.“ – Solange alle dasselbe darunter verstehen und diese Regel tatsächlich leben können.

Vertrauen in die Zukunft

Das Vertrauen, dass sich die Zukunft gut entwickeln wird beziehungsweise, dass das Unternehmen bereit und fähig ist, die Zukunft positiv zu gestalten, ist der dritte Aspekt in der Vertrauens-Trias. Teams haben immer bestimmte, spezifische Fähigkeiten und Ressourcen, um mit drohenden Krisen umgehen zu können. In einem Workshop können diese Ressourcen identifiziert werden und ein „Fahrplan“ entworfen werden, wie sie im Arbeitsalltag des Teams mehr zum Tragen kommen. Wenn das Team beispielsweise den guten Teamgeist als Ressource identifiziert, kann es bewusst routinemäßige gemeinsame Unternehmungen planen, oder ein gemeinsames Motto erfinden – „Gemeinsam sind wir stark“.

Gerade in unsicheren Zeiten haben die Führungskräfte die Aufgabe, Sinn und Richtung zu vermitteln. Nicht durch Kontrolle, sondern dadurch, dass sie den Fokus des Teams auf das Machbare lenken. Es gibt immer einen Einflussbereich, in dem sinnvoll gehandelt werden kann, auch wenn manche Situationen unkontrollierbar und unbeeinflussbar scheinen. Die Konzentration auf den eigenen Einflussbereich stärkt das Selbstvertrauen des gesamten Teams.

Fazit

Erst Psychologische Sicherheit ermöglicht es einem Team, angstfrei Ideen zu entwickeln, kreativ zu denken und innovativ zu sein. Ein Umfeld, das geprägt ist von Ablehnung und Kontrolle, lässt die motiviertesten Mitarbeiter*innen nach und nach verstummen, schlimmstenfalls gehen sie in die innere Kündigung.

Führungskräfte können viel dafür tun, ein vertrauensvolles Umfeld für ihre Teams zu schaffen. Sie können sich selbst und ihren Team-Mitgliedern die Selbstzweifel und die Angst vor dem Scheitern nehmen. Sie können explizite und implizite Regeln aufstellen, die ein wertschätzendes Miteinander schaffen. Und sie können die Ressourcen Ihrer Teams identifizieren und trainieren, so dass alle gemeinsam vertrauensvoll in die Zukunft blicken, egal, welche Unsicherheiten kommen werden.

Unterstützen Sie Ihre Führungskräfte dabei, ein psychologisch sicheres Umfeld aufzubauen. Vereinbaren Sie einen kostenlosen Beratungstermin, damit wir den passenden Workshop, Training oder Coaching für Sie finden. Nicht als Standardlösung, sondern als passgenau fokussierte Maßnahme.