Vom Umgang mit Unerwartetem: So bleibt das Team anpassungsfähig
In diesem Beitrag erfahren Sie, warum unerwartete Situationen für Ihr Team nicht zwangsläufig ein Stressfaktor sein müssen. Ich stelle Ihnen verschiedene Übungen aus der Praxis vor, mit denen Teams einen konstruktiven Umgang mit Unerwartetem entwickeln und so gezielt ihre Team-Resilienz stärken können.
Ein faszinierendes Vorbild für den Umgang mit Veränderungen liefert uns die Tierwelt: das Chamäleon. Es ist weder das schnellste noch das stärkste oder intelligenteste Tier – und doch ist es Meister darin, sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Seine Fähigkeit, die Körperfarbe der Umgebung anzugleichen, macht es für Fressfeinde nahezu unsichtbar. Gleichzeitig behält es mit seinen unabhängig voneinander drehbaren Augen jederzeit den Überblick und erkennt Fressfeinde und andere potenzielle Gefahren frühzeitig.
Fressfeinde gibt es in den meisten Organisationen heute zwar keine mehr. Und doch ist Anpassungsfähigkeit zu einer der wichtigsten Fähigkeiten im Arbeitskontext geworden. Denn in einer Welt, in der sich Rahmenbedingungen ständig und teils abrupt verändern, brauchen Teams die Kompetenz, sich flexibel und zuverlässig auf Neues einzustellen. Veränderung ist der Normalfall im Teamalltag, und der „Umgang mit Unerwartetem“ einer der vier zentralen Schlüssel für Team-Resilienz. Die weiteren drei sind: psychologische Sicherheit, die Verarbeitung kritischer Situationen und ein ganzheitliches Vorgehen. Einen Überblick über alle vier Schlüssel erhalten Sie in meinem Blogbeitrag Team-Resilienz: Gemeinsam stark im Sturm.
Guter Umgang mit Unerwartetem
Ein guter Umgang mit Unerwartetem hat viele Facetten. Teams, die hierin gut aufgestellt sind:
- vertrauen darauf, auch mit überraschenden Situationen souverän umgehen zu können,
- bewahren Ruhe, selbst wenn es turbulent wird,
- stehen einander unterstützend zur Seite,
- übernehmen eigenverantwortlich eine neue Aufgabenverteilung, wenn es die Situation erfordert,
- und gestalten ihre Zusammenarbeit flexibel, um sich veränderten Bedingungen rasch anzupassen.
Im weiteren Verlauf dieses Beitrags werde ich auf diese Aspekte näher eingehen und Ihnen zeigen, wie sie im Rahmen eines Resilienz-Workshops gezielt erlernt und trainiert werden können.
Zuversicht angesichts unerwarteter Situationen – die innere Haltung macht den Unterschied
Gar nicht so einfach: Man weiß nicht, was kommt, soll aber trotzdem zuversichtlich bleiben, damit umgehen zu können. Unvorhersehbare Veränderungen lösen häufig intensive Emotionen aus – und das ist vollkommen menschlich. Da ist etwa die Angst: „Wie werden wir die Zukunft bewältigen?“ Oder Frustration: „Warum können wir nichts tun, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen?“ Oder auch Wut: „Hätten die anderen besser vorgesorgt, wären wir jetzt nicht so hilflos!“
Der Versuch, sich mit detaillierten Plänen gegen Unsicherheit zu wappnen, ist nachvollziehbar, aber oft wenig erfolgreich. Unsere Arbeitswelt ist heute so volatil, dass sie sich nur selten an Planungslogiken hält. Zielführender ist es, sich auf die Gegebenheiten einzulassen, wie sie nun einmal sind – und auf die Ressourcen im Team zu vertrauen, die bereits vorhanden sind. Ein hilfreicher Ansatz ist das Arbeiten in kleinen, machbaren Schritten: Was ist gerade möglich? Was funktioniert schon? Wo liegen unsere vorhandenen Stärken? Indem Teams auf dieser Basis handeln, wächst mit jeder gelösten Herausforderung auch das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit – und damit die Zuversicht, selbst mit den größten Unsicherheiten umgehen zu können.
Stärkenorientierung ist eine bewährte Methode, um genau diese Ressourcen im Team sichtbar und nutzbar zu machen. Sie schafft eine gemeinsame Wahrnehmung von Potenzialen, statt den Blick nur auf Defizite oder Probleme zu richten. In meinen Workshops setze ich dazu gezielte Übungen ein, mit denen Teams ihre Stärken identifizieren, benennen und gezielt einsetzen können – sowohl individuell als auch kollektiv.
Eine wirkungsvolle Methode ist das sogenannte Stärken-Spotting. Dabei geht es nicht um bloßes „Komplimente machen“, sondern um eine strukturierte Rückmeldung im Team: Jedes Teammitglied erhält differenzierte Rückmeldungen von Kolleg*innen zu den individuellen Stärken, die im Arbeitsalltag beobachtet wurden. Die Methode folgt einer klaren Anleitung und schafft einen sicheren Rahmen, in dem gegenseitige Wertschätzung greifbar wird – und zwar auf Grundlage konkreter Beobachtungen, nicht vager Eindrücke. So entsteht ein tieferes Verständnis dafür, welche Kompetenzen im Team vorhanden sind – und wie sie in Zukunft gezielter zur Wirkung kommen können. Wer weiß, worauf er oder sie sich im Team verlassen kann, geht deutlich gestärkter in jede Veränderungssituation.
Gelassenheit trainieren: Wie Teams Ruhe im Chaos bewahren
Veränderungen bringen oft Turbulenzen mit sich. Selbst wenn eine Organisation eine Veränderung frühzeitig erkennt und versucht, sich darauf vorzubereiten, scheint es in der Umsetzung häufig so, als würde alles gleichzeitig passieren. Termine verschieben sich, neue Anforderungen prasseln herein, alte Routinen funktionieren plötzlich nicht mehr – und das Team steht mittendrin.
Mit solchen Situationen kommen Teams dann am besten zurecht, wenn sie die Fähigkeit entwickeln, gelassen zu bleiben. Die sprichwörtliche Ruhe im Auge des Orkans ist dabei kein angeborenes Talent, sondern kann gezielt trainiert werden. Eine Methode, die ich in meinen Workshops gerne einsetze, ist die Szenario-Technik: weil sie hilft, Unwägbarkeiten systematisch zu durchdenken und ihnen damit einen Großteil ihres Schreckens zu nehmen.
Gemeinsam mit dem Team werden dabei unterschiedliche Zukunftsszenarien durchgespielt:
- Worst Case: Was wäre das schlimmstmögliche Szenario? Welche Folgen hätte es wirklich – und gäbe es darin nicht auch Handlungsmöglichkeiten oder sogar positive Aspekte?
- Best Case: Wie sähe der optimale Verlauf aus? Hier ist hemmungsloser Optimismus ausdrücklich erlaubt – denn er öffnet kreative Perspektiven.
- Wahrscheinliches Szenario: Und wie sieht der wahrscheinlichste Verlauf aus? In den meisten Fällen liegt der irgendwo zwischen dem worst und dem best case. Dieses Szenario dient anschließend als Basis für konkrete Überlegungen: Was können wir heute tun, um gut vorbereitet zu sein?
Im Kern geht es darum, mögliche Entwicklungen entlang eines strukturierten Kommunikationsprozesses zu entwerfen – nicht als prophetische Vorhersage, sondern als gedankliche Vorbereitung. Am Ende steht die zentrale Frage: „Was bedeutet dieses Szenario für unser heutiges Handeln?“
Diese Form der Auseinandersetzung schafft Klarheit, eröffnet Möglichkeitsräume und unterstützt das Team dabei, nicht in Reaktivität zu verfallen, sondern in bewusste Gestaltung. Gerade in scheinbar verzwickten Situationen ist es oft genau dieser Perspektivwechsel, der Gelassenheit und Sicherheit entstehen lässt.
Unterstützung statt Einzelkampf: So stärkt sich das Team gegenseitig
Gerade wenn es schwierig wird, kann gegenseitige Unterstützung den entscheidenden Unterschied machen. In einem resilienten Team bedeutet das mehr als gelegentliche Hilfsbereitschaft – es geht um ein bewusst gestaltetes Miteinander, in dem Unterstützung sowohl praktisch als auch emotional verankert ist.
Auf der praktischen Ebene zeigt sich das darin, dass Wissen geteilt und Fähigkeiten ergänzt werden. Vielleicht hat eine Kollegin schon einmal eine vergleichbare Situation erlebt oder jemand im Team bringt eine Perspektive ein, an die sonst niemand gedacht hat. Vielfalt im Team – also unterschiedliche Erfahrungen, Denkweisen und Kompetenzen – wird hier zur echten Stärke. Auch an dieser Stelle ist die zuvor erwähnte Stärkenorientierung hilfreich: Wenn klar ist, wer was gut kann, lassen sich Herausforderungen im Umgang mit Unerwartetem gezielter verteilen und Ressourcen effizienter nutzen.
Ebenso wichtig – und oft unterschätzt – ist die emotionale Unterstützung im Team. Sie zeigt sich in kleinen, aber wirksamen Gesten: ein echtes „Wie geht’s dir?“ im richtigen Moment, ein offenes Ohr oder einfach die Möglichkeit, Sorgen auszusprechen, ohne sofort Lösungen präsentieren zu müssen. In der Hektik des Arbeitsalltags gehen solche Momente leicht unter – gerade deshalb lohnt es sich, ihnen einen festen Platz im Teamalltag zu geben.
In meinen Workshops arbeite ich mit Teams daran, soziale Routinen für emotionale Unterstützung zu etablieren. Eine einfache, aber effektive Methode ist zum Beispiel eine kurze Eröffnungsrunde im wöchentlichen Teammeeting, in der alle ein kurzes Schlaglicht auf ihren aktuellen Zustand geben: Womit komme ich gut zurecht? Was beschäftigt mich gerade? Solche Routinen schaffen Raum für Verbindung und fördern ein Klima, in dem sich Teammitglieder auch in herausfordernden Phasen gegenseitig den Rücken stärken.
Dabei ist es wichtig, die Realität von Teamdynamiken nicht zu romantisieren. Der Anspruch, Teams müssten immer harmonisch und konfliktfrei funktionieren, ist nicht nur unrealistisch, sondern sogar kontraproduktiv. Wie Klaus Eidenschink treffend formuliert:
„Teams haben folglich dauerhaft Konflikte über erwünschtes und unerwünschtes Verhalten – so wie Organismen Stoffwechsel haben. Es geht nicht ohne.“
Ein resilientes Team ist also keines, das Konflikte vermeidet, sondern eines, das mit ihnen umgehen kann – auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und der Bereitschaft, sich im Zweifel auch mal auszuhalten.
Aufgaben neu denken – flexible Zusammenarbeit fördern
Wenn Teams mit unerwarteten Situationen konfrontiert sind, etwa durch kurzfristige Projektveränderungen, personelle Engpässe oder externe Krisen, ist es entscheidend für ihren Umgang mit Unerwartetem, wie flexibel sie intern reagieren können. Ein zentrales Element dabei ist die eigenverantwortliche Anpassung der Aufgabenverteilung: Wer übernimmt was – und wer lässt dafür etwas anderes los?
In stabilen und berechenbaren Umfeldern mag eine klare, festgelegte Aufgabenstruktur mit hierarchischer Steuerung gut funktionieren. Doch in komplexen, schwer vorhersagbaren Situationen stößt dieses Modell an seine Grenzen. Je mehr Überraschungen die Arbeitsumwelt bereithält, desto wichtiger wird es, dass Entscheidungen nicht nur von Einzelpersonen getroffen werden, sondern dort entstehen, wo das konkrete Wissen vorhanden ist: im Team selbst. In solchen Momenten zeigt sich Team-Resilienz daran, wie gut ein Team in der Lage ist, Zuständigkeiten flexibel neu zu denken – ohne auf eine zentrale Anweisung warten zu müssen. Ein Beispiel für eine Organisation, in der Mitarbeiter*innen vollständig in einer Struktur verteilter Autorität arbeiten, beschreibt Frédéric Laloux in seinem Buch Reinventing Organizations. Am Beispiel des niederländischen Pflegedienstes Buurtzorg zeigt er, wie Teams ohne klassische Hierarchie eigenverantwortlich agieren und dabei hocheffizient arbeiten. Auch wenn dieses Modell ganz sicher nicht für jede Organisation in Reinform umsetzbar ist, bietet es wichtige Denkanstöße: etwa die Frage, wie viel Entscheidungsspielraum Teams brauchen, um in Krisen handlungsfähig zu bleiben.
Besonders dann, wenn Ziele unklar sind oder sich Rahmenbedingungen laufend verschieben, kann es hilfreich sein, statt klassischer Zielorientierung mit der sogenannten Effectuation-Logik zu arbeiten. Dieser Ansatz richtet sich nicht danach, was erreicht werden soll, sondern danach, was aktuell machbar ist: Welche Mittel stehen zur Verfügung? Welche Handlungsspielräume ergeben sich daraus? Und wer könnte unterstützen? Ob diese Herangehensweise sinnvoll ist, hängt stark vom jeweiligen Kontext ab. Ein Instrument, das in Workshops eingesetzt werden kann, ist das Ungewissheitsprofiling. Es hilft Teams dabei, einzuschätzen, wie viel Planbarkeit die aktuelle Situation überhaupt zulässt – und ob ein klassisches Vorgehen oder eher flexibles Handeln im umgang mit Unerwartetem gefragt ist. Allein diese Reflexion kann die Entscheidungsfindung im Team deutlich erleichtern und fördert die Bereitschaft, Verantwortung dort zu übernehmen, wo sie gerade gebraucht wird.
Vom Reagieren zum Gestalten – Agilität als Haltung
Veränderungen stellen Teams nicht nur vor die Frage, was jetzt zu tun ist, sondern auch, wie die Zusammenarbeit unter den neuen Bedingungen sinnvoll gestaltet werden kann. Resiliente Teams mit einem guten Umgang mit Unerwartetem zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht in Schockstarre verfallen oder stur an bisherigen Routinen festhalten, sondern aktiv gestalten. Sie passen ihre Arbeitsweise bewusst an – mit dem Ziel, handlungsfähig zu bleiben, auch wenn sich die Lage plötzlich ändert.
Eine bewährte Herangehensweise ist das Arbeiten in iterativen Schleifen, wie es aus dem agilen Arbeiten bekannt ist. Statt eine vermeintlich perfekte Lösung am Reißbrett zu entwerfen, wird in kleinen Schritten vorgegangen: ausprobieren, beobachten, anpassen. So können Teams ihr Vorgehen flexibel weiterentwickeln und gleichzeitig testen, was in der jeweiligen Situation wirklich funktioniert. Gerade in komplexen Lagen, in denen es keine klaren Antworten gibt, bewährt sich dieses Vorgehen – weil es das Lernen ins Zentrum stellt.
Solche Prozesse lassen sich zusätzlich durch kreative Methoden unterstützen, die den Blick weiten und neue Perspektiven eröffnen. Ein Beispiel dafür ist die Walt-Disney-Strategie, bei der ein Problem nacheinander aus drei verschiedenen Rollen heraus betrachtet wird: aus Sicht der Träumerin oder des Träumers, des/der Realist*in und der kritischen Stimme. Diese Technik hilft Teams dabei, Denkblockaden zu überwinden, gemeinsame Optionen zu entwickeln und sich konstruktiv mit verschiedenen Sichtweisen auseinanderzusetzen.
Indem Teams nicht nur auf Veränderungen reagieren, sondern aktiv eigene Antworten entwickeln, entsteht eine Haltung, die über einzelne Methoden hinausgeht: Agilität wird nicht nur als Arbeitsweise verstanden, sondern als Haltung, die den Umgang mit Unerwartetem im Teamalltag verankert.
Umgang mit Unerwartetem lässt sich trainieren!
Teams, die ihre Ressourcen kennen, gemeinsam nach Lösungen suchen und die eigene Arbeitsweise immer wieder hinterfragen, legen die Grundlage für echte Team-Resilienz. Wenn Sie Ihre Teams dabei unterstützen möchten, ihre Resilienz zu stärken, begleite ich Sie gerne mit maßgeschneiderten Resilienz-Workshops. Vereinbaren Sie Ihren kostenlosen Beratungstermin:
Zum Weiterlesen:
Eidenschink, K. (2020). Kann man sich in einem Team wohlfühlen? Online abrufbar: Kann man sich in einem Team wohlfühlen? , abgerufen am 08.04.2025
Laloux, F. (2016). Reinventin Organizations visuell. Ein illustrierter Leitafen sinnstiftender Forman der Zusammenarbeit. München: Franz Vahlen.
Roehl, H. et al. (2012). Werkzeuge des Wandels. Die 30 wirksamsten Tools des Change Managements. Stuttgart: Schäfer-Poeschel.