Zukunftskompetenzen Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit stärken
In diesem Beitrag geht es darum, wie Führungskräften mit Unsicherheit und Veränderungen umgehen können. Veränderungskompetenz ist eine der wichtigsten Zukunftskompetenzen – im Beitrag lesen Sie, wie Sie deren zwei Komponenten Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit stärken können.
In Zukunft wird es bei der Bewältigung von Herausforderungen immer weniger darum gehen, viel zu wissen oder zu können, sondern vielmehr um Kompetenzen, die uns befähigen, in einer komplexen Welt mit den Herausforderungen von morgen selbstorganisiert fertig werden. Eine der wichtigsten dieser Zukunftskompetenzen, die auch die groß angelegten McKinsey-Umfrage „Defining the skills citizens will need in the future world of work“ in verschiedenen Varianten mehrmals auftaucht, ist die Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen. Veränderungsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft und Veränderungskompetenz werden unser zukünftiges Leben und Arbeiten immer mehr bestimmen.
Veränderungskompetenz setzt sich aus zwei Teilen zusammen: dem Können – der Veränderungsfähigkeit – und dem Wollen – der Veränderungsbereitschaft. Sie bezeichnet die Fähigkeit von Individuen, Teams oder Organisationen, Veränderungen erfolgreich zu initiieren, zu implementieren und zu managen. Veränderungskompetenz und Resilienz sind eng miteinander verbunden und ergänzen sich gegenseitig, wobei Resilienz die Grundlage für Veränderungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft schafft: Indem sie uns nämlich dazu befähigt, Veränderungen nicht als Bedrohung wahrzunehmen, sondern vielmehr vertrauensvoll die neuen Umstände anzugehen.
Wenn Sie an Veränderung denken: Was brauchen Sie, um sich darauf einzulassen? Das sind Antworten moderner Vordenker*innen: Veränderung…
…braucht ein Menschenbild, das Veränderung als grundsätzliche menschliche Eigenschaft definiert. Menschen tun, was man ihnen zutraut. (Mc Gregor)
…braucht die Berücksichtigung der Ebenen der Veränderung – es geht eben nicht nur um Verhalten, sondern auch um Werte, Identität und Zugehörigkeit. (Dilts)
…ist komplex und daher nicht planbar und nicht mit Routinen und Prozessen zu bewältigen. Es braucht Ideen und Könnerschaft. (Wohland)
…geht nicht ohne Fehler. Menschen in Veränderung brauchen psychologische Sicherheit. (Edmondson)
…braucht Sinnhaftigkeit, ein Wofür. (Sinek)
Veränderung annehmen ohne Bewährtes zu verlieren
Veränderungsbereitschaft fällt uns oft schwer, weil Veränderung eine neue, unsichere Zukunft mit sich bringt und bewährte Gewohnheiten in Frage gestellt werden. Oft hilft da, sich klar zu machen, dass nicht immer alles schwarz-weiß sein muss. Wir kommen am besten voran mit einer Sowohl- als auch Haltung, die beides berücksichtigt und wertschätzt: das Alte und das Neue. Es ist völlig in Ordnung, wenn Sie Wehmut empfinden beim Gedanken, etwas Liebgewonnenes aufzugeben – ein großes Projekt, eine Freundschaft, die Sicherheit eines Arbeitsplatzes… und genauso ist es ok, Unsicherheit und Angst zu empfinden angesichts dessen, was da auf uns zukommt und großteils noch im Unbekannten liegt.
Aber wir sollten uns im Spannungsfeld zwischen Bewährten und Veränderung die Erlaubnis geben, darüber nachzudenken, wie es für uns selbst vielleicht besser oder leichter sein könnte? Das ist am leichtesten, wenn wir uns bewusst machen, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden und uns Zeit nehmen, eine rückblickende Bewertung durchzuführen. Die folgenden Fragen unterstützen Sie bei dieser Reflexion:
? Was war gut zu beenden oder zu entsorgen?
? Was war gut neu anzufangen?
? Was hat Ihnen geholfen, sich für die Veränderung zu entscheiden?
? Was lernen Sie für weitere Veränderungen aus Ihren Erfahrungen?
Auf den ersten Blick kann es schwierig sein zu erkennen, was genau uns an einer Veränderung hindert. Ich arbeitete kürzlich mit einer Coachee, die neben ihrer Führungsposition als Abteilungsleiterin noch ein großes Projekt verantwortete und sich zwischen ihren Aufgaben und Ansprüchen völlig aufrieb. Wir arbeiteten lang an der Frage, warum es ihr so schwer fiel, aus diesem Projekt – das eigentlich eine zweite 100%-Stelle bedeutete – auszusteigen und sich mit gutem Gefühl auf ihre Abteilung zu konzentrieren. Wichtig war für sie vor allem zu erkennen, worauf sie zukünftig ihren Fokus richten wollte: nämlich ihre Abteilung mit genügend Zeit und Energien zu führen. Zu erkennen, wo ihr Fokus lag, half ihr enorm dabei, nicht wieder in alte Muster zu verfallen. Wenn jetzt neue Projekte an sie herangetragen werden, kann sie ihre unrealistisch hohen Ansprüchen an ihre Belastbarkeit und Zeitverfügbarkeit loslassen und mit gutem Gefühl „Nein“ sagen.
Erst durch dieses Loslassen eigener Ansprüche und Annehmen mit offenem Geist konnte sie die Entscheidung treffen, etwas zu verändern und dranzubleiben.
Vom Wollen und Können
Es ging bisher viel darum, wie der Willen zur Veränderung, also die Veränderungsbereitschaft, gestärkt werden kann. Wie aber sieht es aus, wenn wir Veränderungsfähigkeit stärken wollen, also das „sich verändern können“? Neurobiologisch lässt sich sagen, dass sich bereits im Teenageralter eine eigene Persönlichkeit bildet, die wir nur noch verändern können, wenn sowohl ein Veränderungswunsch besteht als auch ein geeigneter Weg dafür gewählt wird. Gerhard Roth erklärt in seinem Standardwerk „Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern“, dass die Persönlichkeit sich auf vier unterschiedlichen Ebenen entwickelt: dem unteren, mittleren und oberen limbischen Ebene und der sprachlich-kognitiven Ebene. Ganz kurz zusammengefasst sind auf der untere limbische Ebene die lebenserhaltenden Systeme und unser „Grundtemperament“ angesiedelt, auf der mittleren limbische Ebene die frühkindlichen Bindungserfahrungen, auf der oberen limbischen Ebene die spätere gesellschaftliche Sozialisation und die sprachlich-kognitive Ebene ist für die Kommunikation und Selbstdarstellung zuständig.
Die sprachlich-kognitive Ebene ist zwar am einfachsten zugänglich, zugleich beeinflusst sie aber auch am wenigsten unser Verhalten. Das ist unmittelbar einsichtig: Bei Appellen und Aufforderungen von außen entscheiden wir schließlich ziemlich bewusst, ob wir ihnen nachkommen oder nicht. Deswegen ist es schwierig bis unmöglich, Änderungen zu erreichen, wenn wir uns selbst nur mit dieser Ebene beschäftigen. Sich etwas vorzunehmen gelingt nur dann, wenn auch die tieferen Ebenen angesprochen werden: Mit Emotionen, Motiven und unseren Bedürfnissen.
Ängste und Befürchtungen, die uns daran hindern, etwas zu ändern (und oft auch eher undifferenzierten Widerstand gegen die neu eingeschlagene Richtung in uns auslösen) basieren oft auf unseren Bedürfnissen. Es erfordert genaues Hinsehen und Hinspüren und die richtigen Fragen, um die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, die wir mit unseren Entscheidungen und unserem Verhalten zu erfüllen versuchen. Im Umgang mit Ihren Bedürfnissen geht es dann darum, wahrzunehmen, welchen Pol Ihres Bedürfnisses Sie stärker entwickelt haben und wie es Ihnen gelingt, das Bedürfnis zu leben und umzusetzen:
⇒ Bindung (Nähe-Distanz): Ich mit Dir vs. Ich mit mir
⇒ Selbstbestimmung (Freiheit-Sicherheit): Ich traue mir und der Welt vs. Ich misstraue mir und der Welt
⇒ Selbstachtung (Einzigartigkeit-Zugehörigkeit): Was macht mich besonders vs. Wo gehöre ich dazu?
Wenn Sie mit einem Veränderungsvorhaben ins Coaching kommen, geht es im gemeinsamen Gespräch um die Fragen: Welches Bedürfnis haben Sie? Wie können Sie dieses Bedürfnis auch in der Veränderung erfüllen? Wie finden Sie den Mut, Ihre Bedürfnisse ernstzunehmen und auch einzufordern? Und wie gelingt es Ihnen, dabei auch Ihre Grenzen zu respektieren?
Veränderungsfähigkeit stärken in kleinen Schritten
Vielleicht hilft zu mehr Veränderungskompetenz auch eine Änderung des Blicks auf die Zukunft: Statt pessimistisch-abwehrend auf die riesigen Veränderungen zu starren, die uns erwarten, sollten wir uns lieber darauf konzentrieren, in kleinen Schritten vorwärtszugehen und uns immer wieder auf die positiven Möglichkeiten zu fokussieren. Wenn Sie Veränderungen so angehen, vermeiden Sie auch die Perfektionismus-Falle. Denn nicht alles muss gleich perfekt sein – erlauben Sie sich, sich auf neuem Terrain auszuprobieren und mit kleinen Veränderungen auszutesten, wie ein neues Verhalten aussehen könnte.
Oft tendieren wir dazu, eine Veränderung schnellstmöglich „hinter uns zu bringen“ und sofort wieder mit 100% Leistung weiterzumachen, auch wenn uns die neue Situation nicht behagt. Dabei bieten Veränderungssituationen die Chance, verschiedene neue Möglichkeiten zu erproben, solange das Neue noch nicht eingeschliffen ist. Meist gibt es mehr als einen Weg, und wenn Sie Ihre Veränderungsfähigkeit stärken wollen, können Sie in Veränderungssituationen prüfen, warum Sie nur einen Weg sehen und warum sich in Ihnen Widerstand dagegen regt. Vielleicht hält Sie in Wahrheit davon ab, etwas zu ändern:
? Zweifel, dass das Neue nicht gut genug gemacht wird?
? Zweifel, wie der Anfang gemacht werden kann?
? Widerstand: So nicht – aber wie dann?
? Angst vor der Unsicherheit?
Wenn Sie Zweifel, Widerstand und Angst spüren, können Sie damit umgehen, indem Sie Ihr Selbst-Vertrauen entwickeln. Ich bin okay, so wie ich bin, ich kann das, ich vertraue mir, ich darf auch scheitern… so entsteht ein positiver Zustand, aus dem heraus die Veränderung gewagt werden kann. Manchmal sind wir nämlich mehr durch unsere Glaubenssätze und Einstellungen eingeschränkt als durch die realen Gegebenheiten. Haben Sie eher Glaubenssätze, die Veränderung eher unwahrscheinlich machen – oder solche, die Ihre Veränderungsbereitschaft stärken? Also eher „Dafür bin ich eh zu alt“, „Das kann ich sowieso nicht“ (negativ) oder „Ich kann das!“ (positiv)?
Glaubenssatzarbeit ist in vielen Coachingprozessen ein entscheidender Bestandteil und es ist immer wieder verblüffend, wie viel sich im Außen durch eine Änderung im Innen ändern kann. Auch dabei unterstütze ich Sie als Coach: Denn letztlich wollen wir ja erreichen, dass Sie die positiven Aspekte einer Veränderung deutlich wahrnehmen, so dass Sie mit Vertrauen und Zuversicht auf die neue Lebensphase zugehen können.
Veränderungkompetenz testen
Wenn Sie neugierig geworden sind auf das Konzept der Veränderungskompetenz, können Sie Ihre eigene im kostenfreien Selbsttest Veränderungskompetenz testen. Neben einem Ergebnis erhalten Sie auch Coaching-Tipps, wie Sie Ihre Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit stärken können.
Zum Weiterlesen:
- Roth, G. (2007/2019): Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Stuttgart: Klett-Cotta
Dies ist der zehnte und letzte Beitrag meiner Reihe rund um Übergänge, Perspektivwechsel und Coaching. Alle Beiträge finden Sie zum Nachlesen auf meinem Blog. Auf https://juttaheller.de/coaching-auszeit/ gibt es alle Informationen zu meinem Coaching-Konzept.