Scheitern akzeptieren lernen

Der Artikel beschäftigt sich mit dem Umgang mit Misserfolgen und Scheitern und der Entwicklung einer positiven Einstellung zum Scheitern. Wie gravierend muss eine Situation sein, damit wir sie als Scheitern empfinden? Was bricht weg, was bleibt? Wie kann ich als Führungskraft Sicherheit finden und geben, wenn es keine Sicherheit gibt?

Vor einiger Zeit führte ich unter den Führungskräften in meinem Netzwerk eine Umfrage zum Thema Scheitern durch, und einer der Befragten schrieb mir:

„Wenn Scheitern meint, dass mein Handeln nicht zum gewünschten Ergebnis geführt hat, oder ich absehbare Schäden nicht vermeiden konnte – dann bin ich oft, sehr oft gescheitert. Aber den Boden unter den Füßen verloren… das habe ich dreimal in meinem Leben.“

Im reifen Erwachsenenalter, um die 50 herum, haben die meisten von uns drei bis fünf existentielle Erlebnisse gehabt, die uns aus der Bahn werfen, die mit Schock, Schmerz, Trauer, Wut, Selbstzweifeln, Verzweiflung und Angst verbunden sind. Solche Erlebnisse haben eine hohe emotionale Wucht, sie bedrohen unser Selbstverständnis, unsere Identität. Auch wenn ein Scheitern nicht objektiv existenzbedrohend sein muss: Es fühlt sich so an.

Aber nicht jeden Misserfolg empfinden wir als Scheitern, sondern wir stecken im Gegenteil ganz schön viel ziemlich gut weg. Von einer Scheiter-Erfahrung spreche ich erst dann, wenn sie wirklich tiefgehend erlebt wird. Dazu gehören verschiedene Faktoren: die Verantwortungsübernahme, eine Bewertung als gescheiterte Identität, Ziel- und Erfolgsvorstellungen. Im Folgenden möchte ich Ihnen diese drei Faktoren genauer vorstellen.

Verantwortung übernehmen

Was empfinden Sie als Scheitern? Eine Kündigung? Den schwerwiegenden Fehler einer ihrer Mitarbeiterinnen? Wenn das Projekt, für das Sie verantwortlich sind, trotz harter Arbeit erfolglos bleibt? Nach einem Fahrradunfall mehrere Wochen liegen zu müssen und im Job auszufallen?

Die Verantwortung für ein Vorhaben zu übernehmen ist essenziell für eine Scheiter-Erfahrung. Und zwar nicht nur formal zu übernehmen, sondern sie auch als eigene Verantwortung zu erleben. Aus diesem Grund gab es in der Antike noch kein Scheitern im heutigen Sinne: Schließlich war das Leben und alles, was Menschen passierte, von Göttern gesteuert – der Mensch konnte überhaupt keine Verantwortung übernehmen, denn den Lauf der Dinge konnten nur die Götter beeinflussen. Eingreifen, selbst Verantwortung für sich übernehmen – undenkbar für Menschenwesen! Erst nach der Aufklärung begannen wir, unseren Lebensweg nicht mehr als vorbestimmt anzunehmen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass wir ihn durch eigene Leistung und eigene Entscheidungen selbst in die Hand nehmen können.

Heutzutage haben wir mehr Freiheiten und mehr Wahlmöglichkeiten denn je. Und damit auch viel mehr Möglichkeiten zu scheitern. Das Gefühl, alles erreichen zu können, wenn wir nur wollen und uns entsprechend anstrengen, führt zu einem stärkeren Gefühl des Scheiterns, wenn uns ein Vorhaben nicht gelingt. Wahrscheinlich setzen auch Sie sich sehr hohe persönliche Ziele und haben große Ansprüche an sich selbst. Schließlich möchten Sie das Beste erreichen, zu dem Sie fähig sind, und nicht unter Ihrer eigenen Messlatte bleiben. Als Führungskraft können fühlen Sie sich wahrscheinlich zusätzlich auch für die Ergebnisse ihres Teams verantwortlich – und können demzufolge scheitern, wenn diese nicht erreicht werden.

Gescheitert? Eine Frage der Bewertung

Wer Handlungsmacht hat, trägt Verantwortung, denn ein Team kann nur so gut sein wie seine Führungskraft. Deswegen übernimmt eine echte Führungskraft die Verantwortung für schlechte Ergebnisse eines Projekts, überlässt den Erfolg bei guten Ergebnissen aber dem Team. Verantwortungsübernahme beim Scheitern eines Projekts heißt aber nicht, dass Sie sich selbst die Schuld am Scheitern geben müssen. Vielmehr bedeutet es, gemeinsam so mit der Situation umzugehen, dass alle aus der Erfahrung lernen und sich nicht von der Angst vor neuerlichem Scheitern lähmen lassen.

Um einen guten Umgang mit Scheitern vorzuleben, braucht es Selbstreflexion. Sind Sie gescheitert? Oder ist es das Projekt, das gescheitert ist? Achtung: Auch in zweiterem Fall schieben Sie nicht jemand anderem die Schuld in die Schuhe, sondern Sie übernehmen Verantwortung für das Ergebnis! Aber wer Verhalten und Identität trennen kann, kann konstruktiver mit der Situation umgehen und schneller von einer Außenperspektive draufblicken – eine der drei Analyseebenen, um mit Scheitern besser umzugehen. Darauf werde ich später noch eingehen.

Scheitern, ob im beruflichen oder privaten Leben, wird als Differenz zum gelungenen Leben empfunden. Deswegen sind viele „Erfolgs“-Geschichten von Scheitern, die öffentlichkeitswirksam erzählt werden, problematisch. Sie beinhalten bereits den Kontext eines Neuanfangs, meist erfolgreicher als vorher, und werden unter der Prämisse erzählt, dass „ich ohne dieses Scheitern nie geschafft hätte, was ich heute geschafft habe“. Meist werden auch die Geschichten in den mittlerweile sehr beliebten „FuckUp-Nights“ so geframt. Im Moment des Scheiterns bewerten wir die Situation aber nicht so. Wir erleben im diesem Moment keine Chance, die in diesem Scheitern steckt, sondern eine Niederlage, und können uns keine erfolgreichere Zukunft aus dem Scheitern heraus vorstellen. Und genau in diesem Moment ist es für einen späteren gelingenden Umgang mit dem Scheitern extrem wichtig, stehenzubleiben, innezuhalten und Raum für Reflexion zu finden. Leider ist Stehenbleiben aber noch immer gesellschaftlich negativ konnotiert – lieber kopflos weiter nach vorne stürmen, statt zu überlegen, wo es eigentlich hin hingehen soll. Dabei brauchen wir diesen Reflexionsraum, um uns über die eigene Verantwortung an einem Ergebnis klarzuwerden, um eine Trennung von Situation und Identität herzustellen.